Kaum habe ich meinen Motorroller im Hof hinter dem kleinen Gebäude geparkt und meinen Helm abgenommen, fühle ich mich schon beobachtet. Die Frau im sechsten Stock steht auf ihrem kleinen Balkon. Sicherlich schaut sie auf ihre Uhr. Mit meinem alten Arztkoffer gehe ich zum Hauseingang und suche nach dem Code für die Haustür. Auf dem Boden neben der Wohnungstür stehen gut sichtbar blaue Plastikpantoffeln. Als ich an der Tür klingle, deutet mir eine gut gekleidete Frau, in den Fünfzigern die Hausschuhe. Ich protestiere kleinlaut, es habe nicht geregnet, meine Schuhe seien sauber, aber ich weiss, dass es sinnlos ist zu widersprechen. Frau Mulot lässt mich eintreten und führt mich direkt in die Küche, wo sie einen Flüssigseifenspender aufgestellt hat, damit ich mir die Hände waschen kann. Der Wasserhahn ist mit einem Waschlappen abgedeckt, um eine Kontamination zu vermeiden. Mit einem frischen Handtuch trockne ich mir unter dem wachsamen Blick von Frau Mulot die Hände. Nach dieser Dekontaminationsprozedur kann ich in Richtung Schlafzimmer, Büro, dem strategischen Raum der Wohnung, weitergehen. Es ist 14 Uhr und Frau Mulots Lebensgefährte Louis, 68, hat es sich im Pyjama im Doppelbett bequem gemacht und begrüsst mich mit einem breiten Lächeln, das sich von der strengen Miene seiner Partnerin abhebt. Auf seiner Seite des Bettes steht ein Nachttisch, beladen mit Taschentüchern, Sprays und Inhalatoren. Neben dem Bett erblicke ich einen Mülleimer voller Papiertaschentüchern. Pauline Mulot zeigt auf den Mülleimer: «Louis ist immer noch erkältet, obwohl es Sommer und heiss ist. Ich halte die Fenster geschlossen, damit er nicht den ganzen Staub und die Pollen von draussen einatmet.» «Aber», frage ich arglos, «kommt Louis ab und zu aus der Wohnung heraus?» «Ich habe Schwierigkeiten beim Gehen«, verteidigt sich der Patient, «mit meinen Gleichgewichtstörungen könnte ich auf dem Boden landen.» Es stimmt, dass sein Gleichgewicht nach dem Schlaganfall, der sich als Folge von Bluthochdruck, Rauchen und der Einnahme von Antabus ereignet hat, gestört ist. In Absprache mit Louis und seiner Lebensgefährtin konnte ich eine Antabus-Behandlung einleiten, da er schwer alkoholabhängig war, was mit Gewalttätigkeit, Wutausbrüchen und Drohungen mit einem Küchenmesser einherging.