Die kleinen Helfer im Alltag – die tödlich enden können?
Die Debatte um Vitamine und Spurenelemente

Die kleinen Helfer im Alltag – die tödlich enden können?

Fortbildung
Ausgabe
2024/03
DOI:
https://doi.org/10.4414/phc-d.2024.1367453141
Prim Hosp Care Allg Inn Med. 2024;24(03):76-77

Affiliations
Dipl. Ärztin

Publiziert am 06.03.2024

Vitamine und Spurenelemente sind unsere stetigen Begleiter im Alltag. Sei es als Supplement in Form einer Brausetablette oder auf natürlichem Wege in Gemüsen und Früchten. Neu gibt es sie auch in verschiedenen Wasseralternativen künstlich zugesetzt – die «kleinen Helfer» sind allgegenwärtig. Doch wie viel davon ist eigentlich gesund? Wie viel brauchen wir wirklich und können sie auch schädlich sein? Am Herbstkongress der SGAIM zeigte eine Diskussion die Pros und Kontras der umstrittenen Helfer auf.
Der Markt an Vitaminen und Spurenelementen boomt aktuell gewaltig und verspricht Verheissungsvolles: Prävention, Gesundheit, schönes Aussehen, Entspannung, Wohlbefinden, usw. Glaubt man den ganzen Versprechen auf den Verpackungen der Multivitaminpräparate, bräuchte es keine Ärztinnen und Ärzte mehr. Die «kleinen Helfer» können jedoch genau so schädlich wie hilfreich sein.

Pro: Repräsentiert durch Dr. pharm. Lorenz Schmid, Zürich

Online-Konsum, ohne fachkundige Beratung, wird immer häufiger. Alles Mögliche lässt sich im In- und Ausland online bestellen. Immer mehr Menschen nutzen die Gelegenheit und decken sich zum Ausgleich ihres schlechten Gewissens bei ungesunder Lebensweise mit diesen kleinen Alltagshelfern ein. Begründet wird es durch die Aussage, dass eine ausgeglichene Mikronährstoffbilanz durch eine ausgewogene Ernährung kaum erreichbar sei. Diese Aussage basiert gemäss Schmid auf unterschiedliche Ko-Faktoren: genetische Voraussetzungen (z.B. Hautfarbe), geografische Lage, Resorptionsverhältnisse, Berücksichtigung von Verlust und Mehrbedarf, Alter, Geschlecht und Wechselwirkungen mit Arzneimitteln. All diese Faktoren sind wissenschaftlich bewiesene Gründe für den gezielten Einsatz von Mikronährstoffen und Vitaminen. Doch damit ist es nicht getan. Er fordert eine gezielte Auswahl, Dosierung, Einnahmedauer, Einnahmemodalität (lipidlösliche Nährstoffe) usw. Gemäss aktuellen Studien zur Evidenz von Vitaminpräparaten konnte gezeigt werden, dass die Vitamine D und C einen Vorteil bei Covid-19 Erkrankungen bringen können [1, 2]. Dies erklärt sich durch die signifikante Überschneidung der Risikofaktoren von Vitamin C-/ D-Mangel und denen für eine erhöhte Morbidität und Mortalität bei Atemwegserkrankungen. Daher kann die Wiederherstellung des optimalen Vitaminhaushaltes bei Menschen mit Risikofaktoren dazu beitragen, nicht nur das Infektionsrisiko, sondern auch die Schwere der Komplikationen zu verringern [2].
Bei der Vitamineinnahme gibt es einige Dinge zu beachten. So weiss man zum Beispiel, dass gewisse Medikamente die Resorption gewisser Vitamine und Spurenelemente hemmen. Jedoch wird bei der Verschreibung oft nicht aktiv auf solche Konsequenzen hingewiesen. Als kleiner Reminder: bei Protonenpumpeninhibitoren und Metformin sollte immer an die reduzierte Aufnahme von Vitamin B12 gedacht werden [3]. Ebenso wichtig ist es, bei der Verschreibung einer Statintherapie die dadurch gehemmte, endogene Biosynthese von Coenzym Q10 im Hinterkopf zu behalten. Coenzym 10 ist wichtig für die antioxidative Wirkung und den Enerdiestoffwechsel [4].

Kontra: Repräsentiert durch Dr. med. Reinhard Imoberdorf, Winterthur

Vitamine und Spurenelemente: Anti-aging oder doch Büchse der Pandora? In den USA konsumierten bereits vor über 10 Jahren mehr als 50% der Menschen täglich Supplemente und Vitamine [5], Tendenz steigend. Es ist ein 50 Milliarden Dollar Markt - für die Industrie ein durchaus rentables Geschäft [6], und für die Menschen?
Doch zurück zum Ursprung. Vitamine sind zum Teil essenziell, was bedeutet, dass sie mit der Nahrung aufgenommen werden müssen. Ausnahmen bilden das Vitamin D, welches durch die Sonne in der Haut gebildet werden kann oder auch die endogen gebildeten Vitamine K (Darmbakterien) und Niacin (aus Tryptophan). Trotzdem kann eine Supplementierung bei gewissen Umständen durchaus sinnvoll sein. Sei es bei einem erhöhten Bedarf wie in der Schwangerschaft «oder» der Stillzeit oder bei physiologischen Umständen, wie zum Beispiel bei einem Säugling, welcher noch keine ausreichende Eigenproduktion hat. Auch gewisse Umwelteinflüsse wie Tabakkonsum, Alkoholüberkonsum oder eine Malnutrition sind nachgewiesen gute Gründe für eine Substitution.
Doch gewisse Studien lassen an einem generellen Nutzen zweifeln. Zeigte doch die Heart Protection Study aus dem Jahre 2002 [6], dass Vitamine keinen positiven Effekt auf kardiovaskuläre Erkrankungen haben – mehr noch: schenkt man den Studien Glauben, so können die Vitamine A, E und Beta-Carotin sogar zu einer höheren Mortalität führen [7]. Auch bei Krebserkrankungen ist die Datenlage ernüchternd. Gemäss der Studie aus dem Jahre 2009 [8] zeigt die Supplementierung mit Vitamin E und Selen keinen signifikanten Effekt auf das Risiko, an einem Prostatakrebs zu erkranken. Dr. Imoberdorf verweist sogar auf eine ältere Studie, welche zeigen konnte, dass eine Hochdosistherapie mit Vitamin E Präparaten (≥400IE/d) die Gesamtmortalität erhöhen kann [9].
Konklusiv lässt sich sagen, dass Vitamine und Spurenelemente nicht der alleinige Schlüssel zum Erfolg zu sein scheinen. Es gibt weder Evidenz dafür noch dagegen. In entsprechenden Situationen können sie unterstützend eingesetzt werden, jedoch kann ein Plädoyer für eine allgemeine Vitaminsubstitution bei Gesunden aufgrund der Datenlage nicht gutgeheissen werden.
Eine natürlichere Alternative bleibt die Aufnahme der Vitamine und Spurenelemente über eine ausgewogene Ernährung. Insbesondere Früchte und Gemüse mit sekundären Pflanzeninhaltsstoffen wie Cumarine, phenolische Säuren und Lignane bilden dabei die wichtigste Quelle an Antioxidantien. Eine Prävention mit einer ausgewogenen, biologischen Ernährung anstatt Pillen kann somit eine gute Ausgangslage für ein gesundes Leben sein.
Die Pros und Kontras von Vitaminen und Spurenelementen.
© Oksanabratanova / Dreamstime
Céline Désirée Fäh
Riedweg 29
CH-3293 Dotzigen
celine.faeh[at]gmx.ch
1 Speakman, L. L. (2021). Vitamins, supplements and COVID-19: a review of currently available evidence. Drugs context. https://doi.org/10.7573/dic.2021-6-2.
2 Carr AC, Gombart AF. Multi-Level Immune Support by Vitamins C and D during the SARS-CoV-2 Pandemic. Nutrients. 2022 Feb;14(3):689.
3 Miller, J. W. (2018). Proton Pump Inhibitors, H2-Receptor Antagonists, Metformin, and Vitamin B-12 Deficiency: Clinical Implications. Advances in Nutrition, 511 ff.
4 Qu H, Meng YY, Chai H, Liang F, Zhang JY, Gao ZY, et al. The effect of statin treatment on circulating coenzyme Q10 concentrations: an updated meta-analysis of randomized controlled trials. Eur J Med Res. 2018 Nov;23(1):57.
5 Bailey RL, Gahche JJ, Lentino CV, Dwyer JT, Engel JS, Thomas PR, et al. Dietary supplement use in the United States, 2003-2006. J Nutr. 2011 Feb;141(2):261–6.
6 Collaborative Group. (2002). MRC/BHF Heart Protection Study of cholesterol lowering with simvastatin in 20 536 high-risk individuals: a randomised placebocontrolled trial. The Lancez. grandviewresearch. (2021). grandviewresearch. Retrieved from U.S. Dietary Supplements Market Size, Share & Trends Analysis Report By Type (OTC, Prescribed), By Ingredient, By Form, By Application, By End-user, By Distribution Channel, And Segment Forecasts, 2023 - 2030: https://www.grandviewresearch.com/industry-analysis/us-dietary-supplements-market-report
7 Bjelakovic G, Nikolova D, Gluud LL, Simonetti RG, Gluud C. Mortality in randomized trials of antioxidant supplements for primary and secondary prevention: systematic review and meta-analysis. JAMA. 2007 Feb;297(8):842–57.
8 Lippman, S. M. (2009). Effect of Selenium and Vitamin E on Risk of Prostate Cancer and Other Cancers - The Selenium and Vitamin E Cancer Prevention Trial (SELECT). JAMA Network, 39-51.
9 Miller ER 3rd, Pastor-Barriuso R, Dalal D, Riemersma RA, Appel LJ, Guallar E. Meta-analysis: high-dosage vitamin E supplementation may increase all-cause mortality. Ann Intern Med. 2005 Jan;142(1):37–46.