Körperliche Aktivität und Gesundheit heute
Bedeutung, Förderungsansätze und Rolle der Ärzteschaft
Peer-review

Körperliche Aktivität und Gesundheit heute

Fortbildung
Ausgabe
2024/03
DOI:
https://doi.org/10.4414/phc-d.2024.1338972079
Prim Hosp Care Allg Inn Med. 2024;24(03):67-71

Affiliations
Institut für Epidemiologie, Biostatistik und Prävention der Universität Zürich

Publiziert am 06.03.2024

Die Bedeutung von Bewegung und Sport für Leistungsfähigkeit und nicht-übertragbare Krankheiten ist breit akzeptiert. Seit der Corona-Pandemie wird aber die infektiologische Bedrohung anders eingeschätzt und die Belastung des Gesundheitssystems hat zugenommen. Was sind die Rolle und das Potential der körperlichen Aktivität heute?

Serie Sport und ­Bewegung

Sport und Bewegung – ein wichtiges und auch durchaus kontroverses Thema in der täglichen Beratung von Patientinnen und Patienten, in der Praxis wie im Spital. Diese Serie soll einen Überblick geben über das aktuelle Wissen rund um die Gesundheitseffekte von Sport und Bewegung. Die aktuellen Bewegungsempfehlungen werden ebenso beleuchtet wie Aspekte der Beratung und Abklärung von Patientinnen und Patienten vor Aufnahme einer sportlichen Tätigkeit, Aspekte der Gesundheitsförderung und den Möglichkeiten, aber auch den Grenzen und Risiken von Sport und Bewegung.

Einleitung

Bewegung und Sport sind wichtig für Leistungsfähigkeit und Gesundheit. Dies wussten bereits die Ärzte der Antike, die Verankerung entsprechender Erkenntnisse zeigen auch Sprichwörter wie «wer rastet, rostet». Über den grössten Teil der Menschheitsgeschichte war aber Bewegungsmangel höchstens ein Problem für kleine Minderheiten wie die Begüterten; für den überwiegenden Teil der Bevölkerung standen andere Aspekte des Alltags im Vordergrund.. Die ersten modernen wissenschaftlichen Arbeiten zu den Auswirkungen von körperlicher Aktivität erschienen vor etwa 70 Jahren. Dazu gehörte die bahnbrechende Arbeit von Jerry Morris im Lancet aus dem Jahr 1953. In dieser stellte der britische Epidemiologe fest, dass koronare Herzkrankheit deutlich häufiger bei Londoner Buschauffeuren auftrat als bei Kondukteuren. Diese waren in denselben Doppeldeckern unterwegs, durch ihre Kontrollgänge über zwei Stockwerke hinweg aber körperlich wesentlich aktiver als ihre Kollegen [1]. Bis in die 1970er Jahre finden sich in der wichtigsten biomedizinischen Datenbank pro Jahr jeweils einige hundert Publikationen, die im weitesten Sinn dem Thema Bewegung zugeordnet werden können (https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov, MeSH terms „physical activity“, «exercise», «sport» oder «sports»). In den 1990er Jahren begann die breite Auseinandersetzung mit dem Thema auch in der Schweiz. Zur Jahrtausendwende stieg die Anzahl der Publikationen weltweit erstmals auf über 5000 pro Jahr an. In den letzten fünf Jahren lag sie immer über 20'000.
Der heutige Stand der Forschung belegt die Wirkungen der körperlichen Aktivität auf Leistungsfähigkeit und Funktionserhaltung, die Gesundheit des Bewegungsapparates, die Gewichtskontrolle, das Auftreten und die Behandlung von nicht-übertragbaren Krankheiten sowie auf die psychische und kognitive Gesundheit. Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat 2020 Empfehlungen zur körperlichen Aktivität und zum langandauernden Sitzen herausgegeben. Im Hinblick darauf hat sie die bis Ende 1999 publizierten wissenschaftlichen Arbeiten zu dem Thema aufgearbeitet [2]. Sie beschreibt in einem umfangreichen Begleitdokument detailliert und systematisch die Evidenz für eine ganze Reihe von Zusammenhängen nach Altersgruppen (Tab. 1). Zusätzliche spezifische Fragestellungen wurden für Frauen während und nach der Schwangerschaft untersucht. Ausserdem präsentiert die WHO die Datenlage bei Menschen mit chronischen Krankheiten (Krebs, arterieller Hypertension, Diabetes II und HIV). Die wissenschaftliche Literatur zur körperlichen Aktivität bei Menschen mit einer Reihe von weiteren Einschränkungen oder Behinderungen wurde ebenfalls gesichtet und beschrieben: multiple Sklerose, Rückenmarksverletzungen, Intelligenzminderungen, Parkinson-Krankheit, Schlaganfall, schwere Depression, Schizophrenie, ADHS. Aufgrund der noch ungenügenden Datenlage zu diesen spezifischen Fragestellungen wurden sie allerdings nicht in die offiziellen Schlussfolgerungen aufgenommen [3].
Die Untersuchung der Gesundheitseffekte von körperlicher Aktivität ist seit den 1950er Jahren deutlich über die Herz- Kreislauf-Krankheiten hinaus gegangen. Trotzdem blieb der Schwerpunkt der Betrachtungen im Wesentlichen die nicht-übertragbaren Krankheiten. Im weiteren Sinne gehören dazu auch degenerative Krankheiten des Bewegungsapparates und die psychischen Erkrankungen. Als die wichtigsten nicht-übertragbaren Krankheiten zählt die WHO aber die Herz-Kreislauf-Krankheiten, die chronischen Lungenkrankheiten, Krebs und Diabetes Typ II auf. Diese vier Krankheitsgruppen sind auch in der Schweizer Bevölkerung weit verbreitet, sie erhöhen das Sterblichkeitsrisiko und werden durch den Bewegungsmangel begünstigt. Dieser ist aber nicht der einzige Risikofaktor. Bezüglich Gesundheitsverhalten gehören dazu auch ungesunde Ernährung, Alkoholkonsum und Rauchen, die häufig auch kombiniert mit Bewegungsmangel auftreten. Eine Längsschnittauswertung in Form einer Kombination der Daten des NFP 1A (1977–1979) und der MONICA-Studie (1984–1993) mit der Swiss National Cohort untersuchte diese Zusammenhänge in der Schweiz. Sie zeigte, dass auch bei unserem gut entwickelten Gesundheitssystem die kombinierten Auswirkungen des Gesundheitsverhaltens grösser sind als die Sterblichkeitsunterschiede zwischen Männern und Frauen und dass sie einem Altersunterschied von etwa 10 Jahren entsprechen (Abb. 1) [4].
Abbildung 1: 10-Jahres-Überlebenswahrscheinlichkeit in Prozent mit 65 und 75 Jahren in der Swiss National Cohort bei Frauen (n = 8589; 1566 Todesfälle) und Männern (n = 8123; 1967 Todesfälle). Frauen zeigen erwartungsgemäss eine höhere Überlebenswahrscheinlichkeit als Männer im gleichen Alter und mit einem vergleichbaren Gesundheitsverhalten. Eine Kombination ungünstiger Verhaltensfaktoren kann diesen Zusammenhang der Überlebenswahrscheinlichkeit mit Geschlecht und Alter umkehren. 75-jährige Frauen und Männer mit dem günstigsten Verhaltensprofil zeigen eine vergleichbare Überlebenswahrscheinlichkeit wie 10 Jahre Jüngere mit dem ungünstigsten [4].
Erste Abschätzungen zum Bewegungsverhalten der Schweizer gibt es seit den 1990er Jahren. Systematisch und vergleichbar erfragt wird es bei Personen ab 15 Jahren seit der Schweizer Gesundheitsbefragung SGB 2002 alle fünf Jahre. Dazu wird eine Kombination von Fragen zur Häufigkeit von Aktivitäten mit schweisstreibender Intensität sowie zur Dauer von Aktivitäten mit mittlerer Intensität verwendet. Erfreulicherweise hat der Anteil der sich ausreichend Bewegenden bis 2017 kontinuierlich von 62% auf zuletzt 76% zugenommen [5]. Gemäss den vorläufigen Daten der SGB 2022 liegt dieser Wert erneut bei 76% (www.bfs.admin.ch).

Die Situation seit 2020

Mit COVID-19 sind auch für die Schweiz die übertragbaren Krankheiten von einem eher theoretischen Problem, das die meisten bereits für grundsätzlich überwunden gehalten haben, wieder zu einer realen Bedrohung für die gesamte Bevölkerung geworden. Während der Pandemie war die Belastung für die im Gesundheitswesen Tätigen massiv, und auch danach ist der Druck wegen Fachkräftemangel, geänderten Arbeitszeitmodellen und Kostenentwicklung grösser als zuvor.
Schon zu Beginn der Pandemie wurden Risikofaktoren für einen schweren Verlauf von COVID-19 identifiziert, die durch Bewegungsmangel begünstigt werden. Dazu gehören beispielsweise Übergewicht, Herz-Kreislaufkrankheiten oder Diabetes II. Inzwischen haben grosse Kohortenstudien [6, 7] und eine ganze Reihe von systematischen Reviews und Metanalysen [8–14] gezeigt, dass regelmässige körperliche Aktivität mit einer geringeren Erkrankungswahrscheinlichkeit, weniger Hospitalisationen und weniger Todesfällen durch COVID-19 verbunden ist. Durch die beobachtende Natur der Studien ist der kausale Zusammenhang dabei noch nicht erwiesen. Die ersten abgeleiteten Dosiswirkungskurven mit ihrem kurvilinearen Verlauf [9] erinnern aber auffällig an die Kurven für die Schutzwirkung von körperlicher Aktivität für Herz-Kreislaufkrankheiten, wie sie seit den 1990er Jahren bekannt sind [15]. Für einen kausalen Zusammenhang sprechen auch erste «Mendelian Randomization Studies» [16]. Gleichzeitig zeigen diese Untersuchungen, dass zur Wirkung verschiedener Formen von körperlicher Aktivität sowie zu den genauen Wirkungsmechanismen noch Fragen offen sind.
Die psychische Gesundheit vieler Menschen hat während der Corona-Pandemie gelitten. Bei den meisten hat sich das Bewegungsverhalten verschlechtert. Bei Kindern und Jugendlichen [17], bei Gesundheitsfachpersonen [18] ebenso wie bei Menschen in Quarantäne [19] konnte gezeigt werden, dass eine grössere körperliche Aktivität mit weniger Problemen der psychischen Gesundheit verbunden war.
Wie bei den nicht-übertragbaren Krankheiten ist der Bewegungsmangel für Infektionskrankheiten und die psychische Gesundheit natürlich nicht der einzige Risikofaktor, aber ein wichtiger. Die Erhöhung der körperlichen Aktivität ist kein Allheilmittel, aber eine relativ einfache Massnahme, deren Auswirkungen besonders im Sinne der Stressbewältigung sich schon sehr schnell zeigen.

Empfehlungen und Förderungsansätze

Wieviel Bewegung braucht es für die Gesundheit? Bis vor etwa 25 Jahren standen schweisstreibende und andere spezifische Trainingsaktivitäten im Vordergrund entsprechender Empfehlungen. In der Folge wurden diese aufgrund der inzwischen aufgearbeiteten Evidenz mit Aktivitäten sogenannt «mittlerer» Intensität ergänzt, bei denen wie beim zügigen Gehen, beim Velofahren oder bei der Gartenarbeit die Atmung zumindest etwas verstärkt ist. Gemäss aktuellem Stand des Wissens ist jede Bewegung gut für die Gesundheit. Dazu kommen die spezifischen Wirkungen einzelner Trainingsformen, zum Beispiel des Gleichgewichtstrainings für die Sturzprophylaxe oder gewichtsbelastender Aktivitäten für die Knochengesundheit.
Das von den Bundesämtern für Sport und Gesundheit sowie anderen nationalen Organisationen getragene Netzwerk Gesundheit und Bewegung Schweiz hepa.ch, hat die aktuelle Evidenz sowie die Empfehlungen der WHO für die Schweiz aufgearbeitet und in einem übersichtlichen Grundlagendokument dargestellt [5]. Dort finden sich auch die aktuellen Empfehlungen für Erwachsene, die in Abbildung 2 dargestellt sind. Grundsätzlich ist jede Bewegung gut und wichtig für die Gesundheit, selbst wenn dabei die Empfehlungen nicht erreicht werden. Ausserdem ist es gut, sich so regelmässig und so häufig wie möglich zu bewegen, durchaus auch in Form unterschiedlicher Aktivitäten. Langandauerndes Sitzen, in der wissenschaftlichen Literatur in der Regel bezeichnet als «sedentary behaviour», soll begrenzt und regelmässig unterbrochen werden. Wesentliche Gesundheitseffekte können ab 150 Minuten Aktivitäten mittlerer Intensität pro Woche erwartet werden. Das Gleiche gilt für die halbe Dauer, also 75 Minuten mit hoher oder schweisstreibender Intensität, beispielsweise Velofahren oder Schwimmen, oder mit jeder Kombination der beiden Bewegungsformen. Zusätzlich wird Erwachsenen mindestsens zweimal in der Woche ein Training der Kraft empfohlen. Weitergehende Bewegungs- und Sportaktivitäten versprechen weiteren Nutzen. Die Dosis-Wirkungs-Kurve – mit der Dosis oder dem Gesamtausmass der Bewegung ausgedrückt als Produkt von Dauer, Intensität und Häufigkeit pro Woche der verschiedenen Aktivitäten - steigt aber im Sinne eines kurvilinearen Zusammenhangs immer weniger an. Zudem treten Probleme wie Überlastungserscheinungen immer häufiger auf und die Trainingssteuerung wird immer wichtiger.
Abbildung 2 : Schweizer Bewegungsempfehlungen für Erwachsene von 18 bis 64 Jahren [5]. Älteren Erwachsenen werden statt Krafttraining mindestens zweimal pro Woche ein Training von Kraft und Gleichgewicht sowie zur Sturzprävention empfohlen.
© hepa.ch, Magglingen 2023.
Das Grundlagendokument enthält auch die Bewegungsempfehlungen für ältere Erwachsene. Hier wird im Wesentlichen das Krafttraining durch ein Training von Kraft und Gleichgewicht sowie zur Sturzprävention an zwei oder mehr Tagen pro Woche ersetzt. Ebenso gibt es spezifische Empfehlungen für Frauen während und nach der Schwangerschaft, für Kinder in verschiedenen Altersgruppen, für Jugendliche sowie für Menschen mit spezifischen Bedürfnissen, beispielsweise wegen chronischen Gesundheitsproblemen oder Bewegungseinschränkungen [5]. Zudem finden sich dort Erläuterungen zu den verschiedenen Bewegungsarten und Trainingsformen sowie zur Umsetzung der Empfehlungen.
Das Bewegungsverhalten wird ausser von nicht veränderbaren Faktoren wie Alter und Geschlecht von veränderbaren personenspezifischen Faktoren sowie dem sozialen und dem physischen Umfeld beeinflusst. Die International Society for Physical Activity and Health hat 2011 erstmals sieben auf Bevölkerungsebene erfolgsversprechende Settings oder Massnahmen zur Bewegungsförderung definiert [20], 2020 wurden diese auf acht erweitert [21]: integrierte schulbasierte Programme, aktiver Transport, Städteplanung, die Gesundheitsversorgung, Öffentlichkeitsarbeit inklusive Massenmedien, Breitensport, Arbeitsplatz und umfassende Gemeindeprogramme. Der «Global action plan on physical activity 2018–2030» der WHO hat das Ziel, die Prävalenz der körperlichen Inaktivität gegenüber 2016 bis 2030 um 15% zu senken [22]. Der Aktionsplan der WHO und auch das Netzwerk Gesundheit und Bewegung Schweiz [5] haben dazu vier Massnahmenbereiche definiert: 1. eine aktive Gesellschaft anstreben, 2. aktive Umgebungen schaffen, 3. zu einer aktiven Bevölkerung beitragen und 4. aktive Systeme schaffen.

Die Rolle von Ärztin und Arzt

Auch für Ärztinnen und Ärzte sind regelmässige Bewegung und Sport eine wichtige individuelle Gesundheitsressource. Auch für sie wird aber die Aussicht auf einen abstrakten Gesundheitsnutzen allein kaum zu einer nachhaltigen Umstellung des Bewegungsverhaltens führen. Je nach persönlichen Vorlieben und Interessen können hier die Geselligkeit in einem geleiteten Gruppentraining, das neue E-Bike für Ausflüge im Gelände, die Aufnahme einer neuen Sportart auf das Pensionsalter hin oder auch lang geplante Garten- und Umbauarbeiten der entscheidende Motivationsfaktor sein. Angesichts des zunehmenden Drucks im beruflichen Umfeld ist daran zu denken, dass Bewegung und Sport sicher nicht die einzige, aber eine der am einfachsten zugänglichen Massnahmen zum psychischen und körperlichen Ausgleich sind.
Die professionelle Rolle der Ärzteschaft in der Bewegungsförderung ist nicht zu unterschätzen. Zwar können die meisten Personen ihr Bewegungsverhalten auch ohne ärztliche Unterstützung gut gestalten. Die Menschen, denen dies nicht gelingt, werden aber durch kaum einen anderen Zugang so gut erreicht wie über die Arztpraxis. Im Massnahmenpaket 3 ihres Aktionsplans («zu einer aktiven Bevölkerung beitragen») hält die WHO [22, 5] dies gleich in zwei Punkten ausdrücklich fest: «Assessment und Beratung von Patienten hinsichtlich Bewegung und weniger sitzendem Verhalten durch Fachpersonen in Gesundheits- und Sozialangebote integrieren» sowie «mehr spezifische Angebote für Bewegung und weniger sitzendes Verhalten für ältere Erwachsene in Gemeindezentren, Gesundheits-, Sozial-, Alters- oder Pflegeeinrichtungen und im Familienumfeld entwickeln.» Auch in den anderen Massnahmenpaketen werden die Aus- und Weiterbildung von Fachpersonen, die Entwicklung bewegungsfreundlicher Richtlinien sowie die Interessensvertretung erwähnt, bei denen der Ärzteschaft überall eine besondere Rolle zukommt. In der Schweiz ist die Prävention in der Gesundheitsversorgung, zu welcher die Bewegungsförderung gehört, als Massnahmenbereich 2 in der Nationalen Strategie Prävention nichtübertragbarer Krankheiten (NCD-Strategie) verankert [23].
Eine kürzlich erschienene Metaanalyse zeigt, dass Bewegungsförderung über die Gesundheitsversorgung wirksam ist [24]. Dies heisst wie bei anderen Praxisinterventionen natürlich nicht – man denke nur an die Impfberatung –, dass eine Bewegungsberatung in jedem Fall zu einer Verhaltensänderung führt. Angesichts der Vielzahl ihrer Praxiskontakte können aber Ärztin und Arzt doch einer grossen Anzahl Menschen helfen, sich mehr zu bewegen. Die Bewegungsberatung ergänzt methodisch und inhaltlich gut andere Interventionen zum Gesundheitsverhalten [25, 26]. Dies ermöglicht, gemeinsam mit Patientin oder Patient entsprechende Prioritäten festzulegen und gezielt anzugehen. Angesichts des zunehmenden Zeitdrucks im medizinischen Alltag stehen für diesen Zweck auch für die Schweiz Kurzinterventionen mit praxistauglichen Beratungsabläufen und Materialien im Vordergrund (Tab. 2). Die entsprechenden Ressourcen und Fortbildungen stellt das Projekt PEPra (Prävention mit Evidenz) der FMH für die Ärzteschaft und Medizinische Praxis Assistenten (MPA) sowie Medizinische Praxis Koordinatorinnen (MPK) zur Verfügung [27, 28]. Für den Kanton Zürich gibt es das verwandte Projekt primaZüri (Prävention chronischer Krankheiten in der primären Gesundheitsversorgung – Implementierung im Kanton Zürich). Dieses richtet sich sowohl an Ärzteschaft, MPAs und MPKs als auch an Pflegefachpersonen der Spitex. Mit dem Ziel, Teams in der nachhaltigen Umsetzung der Bewegungsberatung im Praxisalltag zu unterstützen, wird dort auch ein interaktives Hilfsmittel entwickelt und getestet. Weitere Ressourcen für die Bewegungsförderung über die Arztpraxis finden sich zudem im Projekt StoppSturz der Beratungsstelle für Unfallverhütung.
Die Bedeutung von Bewegung und Sport für die Gesundheit ist über die Jahre immer deutlicher geworden. Nachdem dabei zunächst die Wirkung auf die nicht-übertragbaren Krankheiten klar im Vordergrund stand, kamen inzwischen die Erhaltung der Selbständigkeit, die kognitive und die psychische Gesundheit sowie auch die übertragbaren Krankheiten hinzu. Ärztin, Arzt und weitere medizinische Fachpersonen können selbst von regelmässiger Bewegung profitieren. Sie haben zudem eine besondere Rolle und inzwischen auch gute Mittel zur Unterstützung des Gesundheitsverhaltens ihrer Patientinnen und Patienten.

Zusammenfassung für die Praxis

Bewegung und Sport können zur Psychohygiene und zugunsten der Gesundheit genutzt werden, auch von Gesundheitsfachpersonen. Gleichzeitig spielen diese Personen eine wichtige Rolle bezüglich der Sensibilisierung, Information und Beratung ihrer Patientinnen und Patienten. Sowohl für die eigene Aktivität als auch für die Beratungstätigkeit ist die Verhaltensänderung die grösste Herausforderung. Es gibt heute Ansätze und Hilfsmittel, um die Bewegungsförderung auch in einen dichtgedrängten Praxisalltag zu integrieren.
PD Dr. med. Brian Martin, MPH
Universität Zürich
Institut für Epidemiologie, Biostatistik und Prävention
Departement Public and Global Health
Hirschengraben 84
CH-8001 Zürich
brian.martin[at]uzh.ch
1 Morris JN, Heady JA, Raffle PA, Roberts CG, Parks JW. Coronary heart-disease and physical activity of work. Lancet. 1953 Nov;262(6795):1053–7.
2 WHO guidelines on physical activity and sedentary behaviour. Geneva: World Health Organization; 2020 (https://www.who.int/publications/i/item/9789240015128)
3 WHO guidelines on physical activity and sedentary behaviour: Web Annex. Evidence profiles. Geneva: World Health Organization; 2020 (https://iris.who.int/bitstream/handle/10665/336657/9789240015111-eng.pdf)
4 Martin-Diener E, Meyer J, Braun J, Tarnutzer S, Faeh D, Rohrmann S, et al. The combined effect on survival of four main behavioural risk factors for non-communicable diseases. Prev Med. 2014 Aug;65:148–52.
5 Bundesamt für Sport BASPO. Bundesamt für Gesundheit BAG, Gesundheitsförderung Schweiz, Beratungsstelle für Unfallverhütung BFU, Netzwerk Gesundheit und Bewegung Schweiz hepa. Bewegungsempfehlungen Schweiz. Grundlagen. Magglingen: BASPO; 2022 (https://www.hepa.ch/de/bewegungsempfehlungen.html)
6 Steenkamp L, Saggers RT, Bandini R, Stranges S, Choi YH, Thornton JS, et al. Small steps, strong shield: directly measured, moderate physical activity in 65 361 adults is associated with significant protective effects from severe COVID-19 outcomes. Br J Sports Med. 2022 May;56(10):568–76.
7 Lee SW, Lee J, Moon SY, Jin HY, Yang JM, Ogino S, et al. Physical activity and the risk of SARS-CoV-2 infection, severe COVID-19 illness and COVID-19 related mortality in South Korea: a nationwide cohort study. Br J Sports Med. 2022 Aug;56(16):901–12.
8 Ezzatvar Y, Ramírez-Vélez R, Izquierdo M, Garcia-Hermoso A. Physical activity and risk ofinfection, severity and mortality of COVID-19: a systematic review and non-linear dose-responsemeta-analysis of data from 1 853 610 adults. Br J Sports Med 2022;56:1188-1193.
9 Li D, Jin S, He Z, Lu S. Association of physical activity and the risk of COVID-19 hospitalization: A dose-response meta-analysis. Medicine (Baltimore). 2023 Jan;102(4):e32814.
10 Liu J, Guo Z, Lu S. Baseline physical activity and the risk of severe illness and mortality from COVID-19: A dose-response meta-analysis. Prev Med Rep. 2023 Apr;32:102130.
11 Sittichai N, Parasin N, Saokaew S, Kanchanasurakit S, Kayod N, Praikaew K, et al. Effects of physical activity on the severity of illness and mortality in COVID-19 patients: A systematic review and meta-analysis. Front Physiol. 2022 Nov;13:1030568.
12 Halabchi F, Mahdaviani B, Tazesh B, Shab-Bidar S, Selk-Ghaffari M. Association between physical activity and risk of COVID-19 infection or clinical outcomes of the patients with COVID-19: A systematic review and meta-analysis. J Prev Med Hyg. 2023 Aug;64(2):E123–36.
13 Rahmati M, Shamsi MM, Khoramipour K, Malakoutinia F, Woo W, Park S, et al. Baseline physical activity is associated with reduced mortality and disease outcomes in COVID-19: A systematic review and meta-analysis. Rev Med Virol. 2022 Sep;32(5):e2349.
14 Castoldi RC, de Ângelo JC, Pereira TT, Dias RM, Negrão FJ. Relationship between physical exercise and COVID-19 (SARS-CoV-2): systematic review. Sport Sci Health. 2023;19(1):55–67.
15 Haskell WL. J.B. Wolffe Memorial Lecture. Health consequences of physical activity: understanding and challenges regarding dose-response. Med Sci Sports Exerc. 1994 Jun;26(6):649–60.
16 Zhang X, Zhang X, Feng S, Li H. The causal effect of physical activity intensity on COVID-19 susceptibility, hospitalization, and severity: evidence from a mendelian randomization study. Front Physiol. 2023 Mar;14:1089637.
17 Pang JC, Chan EL, Lau HM, Reeves KK, Chung TH, Hui HW, et al. The impacts of physical activity on psychological and behavioral problems, and changes in physical activity, sleep and quality of life during the COVID-19 pandemic in preschoolers, children, and adolescents: A systematic review and meta-analysis. Front Pediatr. 2023 Mar;11:1015943.
18 Lv Q, Zhou W, Kong Y, Chen S, Xu B, Zhu F, et al. Influencing factors of sleep disorders and sleep quality in healthcare workers during the COVID-19 pandemic: A systematic review and meta-analysis. Nurs Open. 2023 Sep;10(9):5887–99.
19 Rajkumar E, Rajan AM, Daniel M, Lakshmi R, John R, George AJ, et al. The psychological impact of quarantine due to COVID-19: A systematic review of risk, protective factors and interventions using socio-ecological model framework. Heliyon. 2022 Jun;8(6):e09765.
20 Global Advocacy for Physical Activity (GAPA) the Advocacy Council of the International Society for Physical Activity and Health. (ISPAH). NCD Prevention: Investments that Work for Physical Activity. ISPAH; 2011.
21 International Society for Physical Activity and Health (ISPAH). ISPAH’s Eight Investments That Work for Physical Activity. ISPAH; 2020 (www.ISPAH.org/resource)
22 Global action plan on physical activity 2018–2030: more active people for a healthier world. Geneva: World Health Organization; 2018.
23 Bundesamt für Gesundheit BAG. Schweizerische Konferenz der kantonalen Gesundheitsdirektorinnen und -direktoren GDK, Gesundheitsförderung Schweiz GFCH. Massnahmenplan 2021–2024 zur Nationalen Strategie Prävention nichtübertragbarer Krankheiten (NCD-Strategie) 2017–2024. Bern: BAG; 2020.
24 Kettel VE et al. Effectiveness of physical activity interventions delivered or prompted by health professionals in primary care settings: systematic review and meta-analysis of randomised controlled trials. BMJ 2022 23:376:e068465.
25 Martin BW, Neuner-Jehle S, Martin-Diener E, Grüninger U, Bize R, Weil B, et al. Gesundheitsberatung in der medizinischen Grundversorgung, Teil 1. Ansätze für die NCDs und darüber hinaus. Swiss Medical Forum 2016;16(43):916–920.
26 Martin BW, Neuner-Jehle S, Martin-Diener E, Grüninger U, Bize R, Weil B, et al. Gesundheitsberatung in der medizinischen Grundversorgung, Teil 2. Ziel: Prävention der nicht übertragbaren Krankheiten auf Bevölkerungsebene. Swiss Medical Forum 2016;16(44):932–937.
27 Zosso B, Quinto CB, Neuener-Jehle S, Weil B. PEPra: für Prävention in der Grundversorger-Praxis. Prim Hosp Care. 2020;20(12):388–90.
28 Quinto CB. Prävention mit Evidenz in der Praxis – PEPra-Fortbildungen. Schweiz Arzteztg. 2022;103(23):755.
2 WHO guidelines on physical activity and sedentary behaviour. Geneva: World Health Organization; 2020 (https://www.who.int/publications/i/item/9789240015128)
3 WHO guidelines on physical activity and sedentary behaviour: Web Annex. Evidence profiles. Geneva: World Health Organization; 2020 (https://iris.who.int/bitstream/handle/10665/336657/9789240015111-eng.pdf)
5 Bundesamt für Sport BASPO. Bundesamt für Gesundheit BAG, Gesundheitsförderung Schweiz, Beratungsstelle für Unfallverhütung BFU, Netzwerk Gesundheit und Bewegung Schweiz hepa. Bewegungsempfehlungen Schweiz. Grundlagen. Magglingen: BASPO; 2022 (https://www.hepa.ch/de/bewegungsempfehlungen.html)
24 Kettel VE et al. Effectiveness of physical activity interventions delivered or prompted by health professionals in primary care settings: systematic review and meta-analysis of randomised controlled trials. BMJ 2022 23:376:e068465. https://doi.org/10.1136/bmj-2021-068465.
27 Zosso B, Quinto CB, Neuener-Jehle S, Weil B. PEPra: für Prävention in der Grundversorger-Praxis. Prim Hosp Care. 2020;20(12):388–90.
Verdankung
Wir bedanken uns bei Eva Martin-Diener für die kritische Durchsicht des Manuskripts.
Conflict of Interest Statement
Brian Martin war an der Entwicklung früherer Versionen von PAPRICA beteiligt, Dunja Nicca ist Projektleiterin von PrimaZüri.
Author Contribution
Konzept, Schreiben, Überprüfen, Editieren, Brian Martin und Dunja Nicca. Alle Autorinnen und Autoren haben das eingereichte Manuskript gelesen und sind für alle Aspekte des Werkes mitverantwortlich.