SGAIM Qualitätskommission

Wie Qualitätsindikatoren umgesetzt werden können

News
Ausgabe
2023/12
DOI:
https://doi.org/10.4414/phc-d.2023.1313491210
Prim Hosp Care Allg Inn Med. 2023;23(12):355-356

Affiliations
a Prof. Dr. med. et phil., Präsidentin Qualitätskommission SGAIM, Chefärztin und Direktorin Departement Medizin Kantonsspital Baden
b Prof. Dr. med., Mitglied Qualitätskommission SGAIM, Chefarzt Allgemeine Innere Medizin, Luzerner Kantonsspital

Publiziert am 06.12.2023

Die Qualitätskommission der SGAIM hat mit der Publikation von zwölf Qualitätsindikatoren für den ambulanten und stationären Bereich 2022 den Preis der Schweizerischen Akademie für Qualität in der Medizin SAQM «Innovation Qualité» gewonnen und setzt neue Standards. Wie setzt sich die Kommission für die Bedürfnisse der Kolleginnen und Kollegen in der Praxis und im Spital ein und welche Erfahrungen wurden gewonnen? Dies erfahren Sie hier.
Nach der Publikation der sechs Qualitätsindikatoren für die stationäre und ambulante Medizin 2021 [1] wurde die Umsetzung in der klinischen Praxis in verschiedenen Veranstaltungen und Workshops diskutiert. Was ist ein Qualitätsverbesserungszyklus? Wie kann er auf Praxisebene umgesetzt werden? Warum ist er wichtig? Wie können wir eine Verbesserung messen? Hilfsmittel und die Beschreibung eines PDCA-Zyklus können auf der Webseite der SGAIM heruntergeladen werden [2]. Verschiedene erfolgreiche Umsetzungen in der Praxis wurden bereits publiziert und sind Anwendungsbeispiele [3, 4].
Viele Kolleginnen und Kollegen kämpfen jedoch im Alltag mit anderen Problemen: Qualifiziertes Personal (bspw. MPAs) fehlt, die Nachfolge nach der Pensionierung ist nicht geregelt, zu wenige Hausärztinnen und Hausärzte versorgen immer mehr multimorbide Patientinnen und Patienten, Medikamente sind nicht verfügbar (bspw. Digoxin, Methadon, Antibiotika). Wer mit solchen Problemen kämpft, für den sind Qualitätsverbesserungsmassnahmen und die Diskussion zu PDCA-Zyklen theoretisch und wenig relevant im Alltag. Zudem gilt es, die zunehmende Administration um jeden Preis zu verhindern. Viele Ärztinnen und Ärzte vor allem im Spital verbringen ohnehin den Grossteil ihrer Zeit am Computer.
Zu einem wahren Schub an Administration führten bereits Massnahmen, die vor Jahren im Rahmen der KVG-Revision eingeführt wurden. Bestandteile neben der Überprüfung der Wirtschaftlichkeit und Zweckmässigkeit waren auch die Verpflichtung zur Qualitätssicherung. Diese und weitere Regulierungen führten zu einer kontinuierlichen Zunahme der Administration und Dokumentationspflicht insbesondere auch bei Lehrpraxen. Heute verbringen Hausärztinnen und Hausärzte rund einen Tag pro Woche für administrative Leistungen hauptsächlich für Dokumentation sowie Kommunikation mit Versicherungen [5]. Einigen sich die Leistungserbringer und die Versicherungen nicht, kann der Bundesrat eingreifen, was er in den letzten Jahren mehrfach auch getan hat. In der Regel waren diese Eingriffe immer zu Ungunsten für die Leistungserbringer.
Die Qualitätskommission der SGAIM ist daher der Auffassung, dass eine proaktive Mitgestaltung der Umsetzung der am 1. April 2021 in Kraft getretenen Änderung des Bundesgesetzes über die Krankenversicherung (KVG) zur Stärkung von Qualität und Wirtschaftlichkeit (Art. 58 KVG) wichtig ist für die Ärztinnen und Ärzte der Allgemeinen Inneren Medizin. Eine nationale Qualitätskommission gibt vierjährige Ziele vor, die sich an den Zielen des Bundesrates orientieren. Damit kommen Top-down neue Auflagen zur Qualitätsverbesserung auf die Ärztinnen und Ärzte zu. Die PDCA-Zyklen werden einen Grundpfeiler der Qualitätsverbesserungsmassnahmen sein, die – wenn es sich nicht abwenden lässt – extern auditiert werden müssen. Der Bundesrat, das Bundesamt für Gesundheit (BAG) und die Versicherungen wünschen sich national vergleichbare Outcome-Indikatoren. Dies wird unweigerlich zu einer Zunahme der Administration ohne zusätzlichen Nutzen für die Patientinnen und Patienten führen. Dies gilt es auf jeden Fall zu vermeiden. Zudem müssen Qualitätsverbesserungsmassnahmen zwingend adäquat vergütet werden.

Wie das Luzerner Kantonsspital Qualitätsindikatoren umsetzt

Seither haben einige Betriebe damit angefangen, Qualitätsindikatoren umzusetzen, so auch das Luzerner Kantonsspital (LUKS). Der offizielle Qualitätsbericht des LUKS nach der Vorlage von H+ kann auf der offiziellen Webseite abgerufen werden [6].
Die Innere Medizin am LUKS hat sich drei messbare Qualitätsindikatoren für das Jahr 2023 vorgenommen. Es handelt sich dabei einerseits um den Arzneimittelabgleich (Medication Reconciliation) bei Eintritt und Austritt, die Neuverschreibung von Benzodiazepinen als Schlafmittel bei über 65-jährigen sowie die Häufigkeit und Ätiologie von Stürzen. Wichtig ist dabei, dass die Indikatoren gemessen und die Resultate an das behandelnde Team zurückgespiegelt werden können. Damit lassen sich qualitative Verbesserungen erzielen.
So betrug beispielsweise die Häufigkeit der Arzneimittelabgleichungen bei stationären Patientinnen und Patienten der Allgemeinen Inneren Medizin seit Jahresbeginn 71,4%. Das heisst, bei diesen Patientinnen und Patienten wurde die Medikation von zuhause respektive vom Hausarzt auf die spitaleigenen Medikamente verordnet. Bei Austritt betrug die Rate seit Jahresbeginn 81%. (Rückverordnung auf die Medikamente der Hausärztin oder des Hausarztes). Diese Raten der Arzneimittelabgleichungen sollen im Verlauf schrittweise erhöht werden, denn sie haben eine entscheidende Korrelation zur Patientensicherheit [7]. Elektronische Verschreibungssysteme sind zur Messung dieses Qualitäts-Indikators sehr hilfreich, da die händische Kontrolle sehr aufwendig sein kann [8].
Qualitätsindikator Neuverschreibung Benzodiazepine: Anteil der älteren (≥65 Jahre) Personen, bei denen während der Hospitalisation ein neues Benzodiazepin begonnen worden ist. Der Indikator hat zum Ziel, die Neuverschreibungen von Benzodiazepinen während des Spitalaufenthalts zu reduzieren.
© SGAIM (Illustration: Hahn+Zimmermann)
Die Neuverordnung von Benzodiazepinen als Schlafmittel bei über 65-jährigen sollte gemäss der SGAIM und Smarter Medicine möglichst vermieden werden [9]. Auf den Abteilungen der allgemeinen Inneren Medizin am LUKS wurden in den vergangenen sechs Monaten bei 35 dieser Patientinnen und Patienten im Verlauf der Hospitalisation Benzodiazepine verschrieben, was bei knapp 1000 hospitalisierten Patientinnen und Patienten einer Verordnungsrate von 3,4% entspricht. Diese Rate soll sukzessive vermindert werden. Einschränkend ist zu sagen, dass die Verschreibung von Benzodiazepinen bei Patientinnen und Patienten z.B. mit Angststörungen, Depressionen sowie Epilepsie sinnvoll sein können, werden sich diese Verordnungen nicht auf null reduzieren lassen.
Zusammenfassend ist es zentral, dass Qualitätsindikatoren zeitnah gemessen und an das behandelnde Team zurückgespiegelt werden können. Dies findet am LUKS im Rahmen der erwähnten Publikation der Qualitätsindikatoren statt. Dabei sind klinische Informationssysteme sehr hilfreich. Noch nicht definiert sind bei diesen Qualitätsindikatoren die Zielwerte. Diesbezügliche Empfehlungen sollten im Rahmen von Qualitätszirkeln und der Fachgesellschaften definiert werden.
Sascha Hardegger
Verantwortlicher Kommunikation/Marketing
Schweizerische Gesellschaft für Allgemeine Innere Medizin (SGAIM)
Monbijoustrasse 43
Postfach
CH-3001 Bern
sascha.hardegger[at]sgaim.ch
1 SGAIM [Internet]. Qualitätsindikatoren im stationären und ambulanten Bereich [cited 2023 Nov 03]. Available from: https://www.sgaim.ch/de/themen/qualitaet/qualitaetsindikatoren
2 SGAIM [Internet]. Plan-Do-Check-Act (PDCA)-Zyklus [cited 2023 Nov 03]. Available from: https://www.sgaim.ch/de/themen/qualitaet/pdca-zyklus)
3 Swiss Health Web [Internet]. Umsetzung von Qualitätsindikatoren [cited 2023 Nov 03]. Available from: https://www.swisshealthweb.ch/de/article/doi/saez.2023.21830/
4 Swiss Health Web [Internet]. Umsetzung von Qualitätsindikatoren im stationären Bereich: das Hôpital de la Tour in Genf [cited 2023 Nov 03]. Available from: https://www.swisshealthweb.ch/de/article/doi/phc-d.2023.10730/
5 Freie Berufe [Internet]. Administrative Belastung in den freien Berufen [cited 2023 Nov 03]. Available from: https://www.freieberufe.ch/file/PDF_2023/SVFB_Administrative_Belastung_freier_Berufe_Schlussbericht_final%20(0233499).pdf
6 Luzerner Kantonsspital [Internet]. Qualität [cited 2023 Nov 03]. Available from: https://www.luks.ch/ihr-luks/qualitaet
7 Greenwald JL, Halasyamani L, Greene J, LaCivita C, Stucky E, Benjamin B, et al. Making inpatient medication reconciliation patient centered, clinically relevant and implementable: a consensus statement on key principles and necessary first steps. J Hosp Med. 2010 Oct;5(8):477–85.
8 Nachar C, Lamy O, Sadeghipour F, Garnier A, Voirol P. Medication reconciliation in a Swiss hospital: methods, benefits and pitfalls. Eur J Hosp Pharm Sci Pract. 2019 May;26(3):129–34.
9 SGAIM [Internet]. Qualitätsindikatoren im stationären Bereich [cited 2023 Nov 03]. Available from: https://www.sgaim.ch/de/qualitaet/qualitaet-im-spital/qualitaetsindikatoren
10 SGAIM [Internet]. Qualität ist kein Zufall [cited 2023 Nov 03]. Available from: https://www.sgaim.ch/de/themen/qualitaet/strategie-und-vision