Schwierige Situation oder konstruktive Herausforderung?

Triangulation in der alltäglichen klinischen Kommunikation

Arbeitsalltag
Ausgabe
2023/05
DOI:
https://doi.org/10.4414/phc-d.2023.10662
Prim Hosp Care Allg Inn Med. 2023;23(05):158-160

Affiliations
a Universitäres Zentrum für Palliative Care, Inselspital Bern, Bern; b Permanence H-FR Meyriez-Murten, Meyriez

Publiziert am 03.05.2023

Einführung

Der Begriff Triangulation wird in einem sehr breiten Kontext und in verschiedenen Fachdisziplinen verwendet: In der Geographie zur Vermessung von Distanzen und Höhen, in der Forschung als spezifische Methode, in der Sozialforschung zur Beschreibung von «Dreiecks-Beziehungen», in der Translationsanalytik als «Drama-Dreieck» [1] und in der Kommunikation zur Beschreibung der Interaktion zwischen drei Personen. Auch die Kommunikation zwischen zwei Personen kann dreiecksartig sein, denn einerseits lassen sich sehr viele Personen von einer dritten Person beraten, andererseits kann auf psychoanalytischer Ebene sogar postuliert werden, dass das Unbewusste eine dritte Person darstellt [2].
Eine fokussierte Literaturrecherche (Pubmed; Googlescholar) zeigt Literatur zu triadischen Kommunikationssituationen (Sprechstunden mit drei Parteien) mit drei Schwerpunkten: Die Eltern-Kinder-Fachpersonen-Triade [3, 4], die Patient-Angehörige-Fachpersonen-Triade in der Geriatrie [5, 6] und die in Entscheidungsfindungs-Situationen [7, 8].
Im klinischen Alltag scheint der Ausdruck «Triangulation» häufig negativ interpretiert, die Klinikerin, der Kliniker, ist verleitet, diese Situationen als herausfordernd (z.B. unzufriedene Patientinnen und Patienten / Familie) zu interpretieren. Sie basieren aber grundsätzlich auf einem direkten Aufeinandertreffen von verschiedenen Wertvorstellungen der Beteiligten [9,10] und haben wenig mit dem Phänomen der Triangulation gemeinsam. Ein Beispiel hierzu sind selbstbestimmte Patientinnen und Patienten, welche direkt ihre Wünsche äussern. Die Triangulation global als schwierig zu bezeichnen, greift also zu kurz.
Dieser Artikel wird sich auf die Triangulation im Sinne einer indirekten Dreiecks-Kommunikation zwischen erwachsenen Personen (Patientinnen/Patienten, Angehörige und Fachpersonen) beschränken. Es handelt sich dabei um Situationen, in denen ein Angehöriger, eine Patientin oder ein Patient sowie eine Fachperson Informationen nacheinander austauschen und keine gemeinsame Diskussion stattfindet. Als Beispiel: Eine Patientin oder ein Patient ist mit einer Behandlungsempfehlung unzufrieden und wendet sich direkt an ihre/seine Familie, die ihrerseits die Fachperson kontaktiert.
Das Ziel dieses Artikels, basierend auf der klinischen Erfahrung der Autorin und der Autoren, soll primär eine praktische Hilfestellung für die Allgemeinpraxis sein, um Triangulations-Situationen zu erkennen. Im zweiten Teil wird ein Lösungsansatz vorgeschlagen, der gewisse Ähnlichkeiten mit Elementen bekannter, teilweise komplexer Modelle – dem Drama-Dreieck [1], Familien-Konferenzen und der systemischen Familientherapie [11–13] – zeigt, aber nicht direkt auf diesen aufgebaut wurde. Im klinischen Alltag sind diese Modelle, ausserhalb eines spezifischen, spezialisierten Settings häufig zu komplex, um schnell und pragmatisch angewendet zu werden.

Praktische Grundannahmen

Eine Triangulation im Setting einer klinischen Betreuung ist nicht per se schlecht, sie ist aber ein Zeichen eines erhöhten Klärungsbedarfs und kann helfen, eine patientenzentrierte Entscheidung zu treffen. Der erste Schritt ist, die Situation zu analysieren. Die folgenden Fragen sind dabei wichtig:
1. ​Um welche Frage/Problematik handelt es sich?
2. Welche Personen sind die Eckpunkte des Dreieckes, und welche Rollen haben diese?
3. Wie ist der Informationsfluss (bidirektional oder unidirektional)?
Visualisiert man die Situation, bildet das daraus resultierende Dreieck eine angedeutete Pfeilform mit Richtungscharakter. Diese Pfeilform zeigt auf der Ebene der Meinung/Entscheidung in Richtung der Intention der Triangulation (Triangulations-Vektor) (siehe Abb. 1–2). Hierzu zwei Beispiele.
Abbildung 1: Triangulation mit Koalitionsbildung zur Unterstützung der Patientenmeinung (Patient und Angehörige / Fachpersonen).
Abbildung 2: Triangulation mit Koalitionsbildung zur Unterstützung der Fachpersonenmeinung (Patient / Fachperson und Familie).

Triangulation mit Koalitionsbildung zur Unterstützung der Patientenmeinung. (Patientin oder Patient und Angehörige / Fachpersonen)

Fallbeispiel: Herr Picard, ein ehemaliger Schiffskapitän, leidet an einem fortgeschrittenen Bronchuskarzinom. Er wünscht so lange wie möglich zu leben. Eine tumorspezifische Therapie ist aus medizinischer Sicht nicht sinnvoll. Sie teilen dies dem Patienten mit. Zwei Stunden später erhalten Sie einen Anruf von dem Sohn des Patienten, der nicht mit Ihrem Vorschlag einverstanden ist und im Namen seines Vaters auf einer Therapie beharrt.
In dieser klassischen Situation bestehen unterschiedliche Meinungen zwischen dem Patienten und der Fachperson. Der Patient nimmt eine dritte Person auf seine Seite, was zu einem Dreieck mit einer Pfeilform führt, die von der Meinung der Fachperson weg zeigt. Die Kommunikation ist oft unidirektional und zeitlich fragmentiert: Die Fachperson informiert den Patienten, der Patient die Angehörigen, diese wiederum kontaktieren die Fachperson.
Herausfordernd ist, dass die Meinung des Patienten, die es in Sinne der Autonomie zu respektieren gilt, mit der Meinung der Fachpersonen in einen Konflikt gerät. Dieser Konflikt wird durch den Einfluss der Drittperson verstärkt.

Triangulation mit Koalitionsbildung zur Unterstützung der Fachpersonenmeinung (Patientin oder Patient / Fachperson und Familie)

Fallbeispiel: Herr Riker, ein ehemaliger hoher Offizier, leidet an einer Parkinsonerkrankung. Er stürzt und muss mit einer Schenkelhalsfraktur hospitalisiert werden. Ein Austritt nach Hause ist nicht mehr möglich. Der (urteilsfähige) Patient verweigert vehement einen Übertritt ins Pflegeheim. Sie besprechen, mit dem Einverständnis des Patienten, die Situation mit der Familie. Diese teilt Ihre Meinung und verspricht, den Patienten von der Notwendigkeit eines Pflegeheimübertrittes zu überzeugen.
In dieser Situation besteht im Grundsatz eine Meinungsdifferenz zwischen dem Patienten und der Fachperson. Im Unterschied zum ersten Beispiel steht die Familie auf der Seite der Fachperson. Mit dem damit erzeugten Vektor hoffen Fachperson und Familie, den Patienten zu überzeugen. Die Kommunikation ist wiederum unidirektional. Der Patient informiert die Fachperson, die Fachperson entscheidet sich, die Familie zu kontaktieren, welche versucht, den Patienten zu überzeugen.
Problematisch ist hier die Gratwanderung zwischen Autonomie des Patienten / Einhaltung der Schweigepflicht, Meinung der Fachperson und möglichen Bedürfnissen der Angehörigen, die es zu respektieren gilt. Es muss also ein Einverständnis des Patienten zur Kommunikation mit der Familie vorliegen. Abbildung 2 veranschaulicht die Situation.

Lösungsvorschlag

Ein Hauptproblem ist die unidirektionale Kommunikation A → B → C und fehlende Information zur Thematik (Problematik/Meinung). Zur konstruktiven Lösung einer Triangulations-Situation könnten deshalb folgende Schritte helfen:
1. ​Sicherstellen einer bidirektionalen Kommunikation (A← →B← →C← →A);
2. ​Besprechung der Standpunkte in einer gemeinsamen Sitzung;
3. ​partizipative Entscheidungsfindung innerhalb des durch die Krankheit/Situation gegebenen Rahmens.
Ein klassisches Beispiel dazu sind die Rundtischgespräche mit der Familie, die z.B. in der Palliative Care gut dokumentiert und sehr hilfreich sind (12).
Fallbeispiel: Bei Herrn Picard, dem erstgenannten Patienten, entscheiden Sie sich, einen runden Tisch mit dem Sohn durchzuführen. Alle Personen sitzen im selben Raum, Sie haben die Möglichkeit, die Sorgen und Wünsche des Patienten zu erfahren und Ihre Überlegungen zu teilen. Nach einer ruhigen und sachlichen Diskussion akzeptiert der Patient Ihren Vorschlag, keine weitere diagnosespezifische Therapie seines Tumorleides durchzuführen. Der Sohn ist damit einverstanden.
Ziel dieses Vorgehens sollte eine Verkleinerung des Dreieckes sein. Dadurch treten Triangulations-Phänomene in den Hintergrund und die Hauptintention der Entscheidungsfindung tritt in den Vordergrund: das Abgleichen des Patientenwunsches mit der Realität und eine gemeinsame Zielsetzung. Die häufig negativ konnotierte «Triangulations-Situation» wird durch eine «shared decision-making»-Situation abgelöst und so eine Koalitionsbildung vermieden[14]. Abbildung 3 fasst den Lösungsvorschlag zusammen.
Abbildung 3: Lösungsvorschlag: Umwandlung der versteckten/indirekten Dreieckskommunikation in eine direkte/transparente Besprechung.

Konklusion

Verschiedene Interessen und Koalitionsbildung sind nicht per se schwierig. In der klinischen Praxis sind versteckte Triangulationen mit der Gefahr des Verlusts an Vertrauen und Transparenz jedoch häufig. Diese sollten frühzeitig erkannt und allen Beteiligten transparent gemacht werden. Ihre Offenlegung soll konstruktiv genutzt werden, um sich mit den Zielen und Wünschen der Patientinnen und Patienten und ihrer Angehörigen in einer partizipatorischen Art und Weise, z.B. im Rahmen einer strukturierten Familienbesprechung, zu beschäftigen. Auf kommunikativer Ebene, soll eine versteckte/indirekte Dreiecks-Kommunikation in eine transparente/direkte Form umgewandelt werden.
Bildlich gesehen geht es darum, aus einem grossen, zeitlich und örtlich versetzten Dreieck mit unterschiedlichen Koalitionen ein kleines, von allen Perspektiven aus transparentes Dreieck innerhalb eines Raumes zu schaffen und damit zu einer gemeinsam getragenen Entscheidung zu gelangen – «shared decision-making» im besten Sinn.
ASE dankt den Mitmasterstudentinnen und -studenten (MME UniBe) für die hilfreichen und konstruktiven Rückmeldungen betreffend des Konzeptes im Rahmen des Lernmodules («Micro-Teaching»).
Andreas Samuel Ebneter
Universitäres Zentrum für Palliative Care
Inselspital Bern
Freiburgstrasse 38
CH-3010 Bern
1 The Official Site of the Karpman Drama Triangle [Internet]. San Francisco: Drama Triangle Publications; c2005–15 [cited 2022 Aug 25]. Available from: https://karpmandramatriangle.com/index.html
2 Rieforth J. Triadisches Verstehen in sozialen Systemen. Gestalt Komplexer Wirklichkeiten. Heidelberg: Carl Auer; 2006.
3 Cahill P, Papageorgiou A. Triadic communication in the primary care paediatric consultation: a review of the literature. Br J Gen Pract. 2007 Nov;57(544):904–11.
4 Tates K, Meeuwesen L. Doctor-parent-child communication. A (re)view of the literature. Soc Sci Med. 2001 Mar;52(6):839–51.
5 Karnieli-Miller O, Werner P, Neufeld-Kroszynski G, Eidelman S. Are you talking to me?! An exploration of the triadic physician-patient-companion communication within memory clinics encounters [Internet]. Patient Educ Couns. 2012 Sep;88(3):381–90. [cited 2022 Jul 14] Available from: https://linkinghub.elsevier.com/retrieve/pii/S0738399112002443https://doi.org/10.1016/j.pec.2012.06.014 PMID:22789148
6 Vick JB, Amjad H, Smith KC, Boyd CM, Gitlin LN, Roth DL, et al. “Let him speak:” a descriptive qualitative study of the roles and behaviors of family companions in primary care visits among older adults with cognitive impairment [Internet]. Int J Geriatr Psychiatry. 2018 Jan;33(1):e103–12. [cited 2022 Jul 14] Available from: https://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1002/gps.4732https://doi.org/10.1002/gps.4732 PMID:28585721
7 Bracher M, Stewart S, Reidy C, Allen C, Townsend K, Brindle L. Partner involvement in treatment-related decision making in triadic clinical consultations - A systematic review of qualitative and quantitative studies. Patient Educ Couns. 2020 Feb;103(2):245–53.
8 Tulsky JA, Steinhauser KE, LeBlanc TW, Bloom N, Lyna PR, Riley J, et al. Triadic agreement about advanced cancer treatment decisions: perceptions among patients, families, and oncologists [Internet]. Patient Educ Couns. 2022 Apr;105(4):982–6. [cited 2022 Jul 14] Available from: https://linkinghub.elsevier.com/retrieve/pii/S0738399121005152https://doi.org/10.1016/j.pec.2021.08.001 PMID:34384640
9 Hoefert HW, editor. Schwierige Patienten. 1st ed. Bern: Huber; 2013. 350 pp.
10 Kowarowsky G. Der schwierige Patient: Kommunikation und Patienteninteraktion im Praxisalltag. 3., erweiterte und aktualisierte Auflage. Stuttgart: W. Kohlhammer; 2019. 236 pp. (Content Plus).
11 Naef R, Massarotto P, Petry H. Family and health professional experience with a nurse-led family support intervention in ICU: A qualitative evaluation study [Internet]. Intensive Crit Care Nurs. 2020 Dec;61:102916. [cited 2022 Aug 28] Available from: https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0964339720301191 https://doi.org/10.1016/j.iccn.2020.102916 PMID:32807604
12 Hudson P, Quinn K, O’Hanlon B, Aranda S. Family meetings in palliative care: multidisciplinary clinical practice guidelines [Internet]. BMC Palliat Care. 2008 Aug;7(1):12. [cited 2022 Aug 28] https://doi.org/10.1186/1472-684X-7-12 PMID:18710576
13 europsyche.org [Internet]. Vienna: European Association for Psychotherapy; [cited 2022 Aug 28]. Systemic Familytherapy; [about 4 screens]. Available from: http://www.europsyche.org/approaches/systemic-familytherapy/
14 Gerber M, Kraft E, Bosshard C. Shared Decision Making – Arzt und Patient entscheiden gemeinsam [Internet]. Schweiz Arzteztg. 2014 Dec [cited 2022 Jul 14];95(50):[9 pp.]. Available from: https://doi.emh.ch/saez.2014.03149