Swiss Health Web
EMH Schweizerischer Ärzteverlag AG
Farnsburgerstrasse 8
CH-4132 Muttenz
+41 (0)61 467 85 44
support@swisshealthweb.ch
www.swisshealtweb.ch
Publiziert am 06.07.2021
Wenn die Hausärztinnen und -ärzte ihre Tätigkeit beschreiben, spielt der Begriff «Werkzeug» eine grosse Rolle.
Tabelle 1: Codierung und Aussagen (Zitate aus den drei Fokusgruppen). | ||
Kategorie | Unterkategorie | Aussage |
Werkzeuge des diagnostischen Know-hows | Differenzialdiagnose stellen | Deprimierte oder erschöpfte Menschen, aber eigentlich funktioniert nur ihr CPAP-Gerät nicht so gut [...] Manchmal gibt es auch gewisse Zusammenhänge zwischen somatischen Beschwerden und Stimmungsstörungen. FG2 |
Zu viele Untersuchungen vermeiden | Aber diese Patienten mit Somatisierung und unklaren, unerklärlichen Schmerzen, bei denen man eine Untersuchung nach der anderen macht. Ab einem gewissen Zeitpunkt muss man wissen, dass man damit aufhören sollte. FG3 | |
Hintergründe der somatischen Beschwerden sondieren | Es gelingt, das Gespräch ein wenig zu vertiefen: Was passiert zu Hause, wie geht es mit den Angehörigen usw. Dann wird dies zu einem Werkzeug und unter Umständen kann man so dem Problem einwenig besser auf den Grund gehen [...] FG3 | |
Werkzeuge des Know-hows für die Behandlung | Behandlungsrahmen definieren | Ich definiere einen Rahmen [...] Ich spreche die Dinge aus und sage: Ich nehme mir drei oder vier Sitzungen lang Zeit, um mit Ihnen das Problem zu erkunden. FG3 |
Regelmässige Termine | Als Werkzeug sehe ich den Terminkalender, weil regelmässige Termine sehr wichtig sind, um unangenehme Ereignisse zwischen zwei Terminen zu verhindern. FG3 | |
Verfügbar sein | Auf Patientenmails antworten, wenn es ihnen nicht gut geht. FG2 | |
Ressourcen erschliessen | Bisweilen verfügen die Betroffenen über Ressourcen, die ihnen gar nicht bewusst sind. Man muss ihnen dabei helfen, sie zu entdecken. FG2 | |
Wieder in Bewegung bringen | Man bittet darum, dass alle eine Kleinigkeit für ein Buffet mitbringen. Manche haben seit Jahren keinen Kuchen gebacken, aber auch sie bringen etwas mit. Es macht auch Freude zu zeigen, dass man das Kochen noch nicht verlernt hat. FG1 | |
Behandlungsmöglichkeiten erläutern | «Wir haben mehrere Möglichkeiten, Ihnen zu helfen: Medikamente, Psychiater, Behandlung hier in der Praxis.» Und dann muss man sehen, was gewünscht wird. FG3 | |
Krankschreibung ausstellen | Aber auch eine Krankschreibung. Dazu sind wir befugt. Das wissen die Menschen und bitten manchmal darum; ich denke, dass dies Teil unseres Arsenals ist. FG2 | |
Arzneimittel für eine andere Indikation verschreiben | Oft wurde bereits ein antidepressiv wirkendes Medikament verschrieben, unter dem Deckmantel der Behandlung chronischer Schmerzen; und dann hofft man, dass dies auch der Stimmung guttut. FG2 | |
Komplementärmedizinische Präparate verschreiben | Oft versuche ich es mit Johanniskraut-Präparaten [...] So kann ich es vermeiden, SSRI zu verschreiben [...] FG2 | |
Auf unterschiedliche Weise mit den Patientinnen und Patienten sprechen | Man hat also Werkzeuge zur Verfügung, seien es Entspannungsmethoden, sei es eine Kurzzeittherapie; das gibt uns die Möglichkeit, einen Dialog mit den Patientinnen und Patienten aufzubauen. FG2 | |
Emotion berücksichtigen | Ein Arzt – das heisst: Stethoskop und eine Packung Taschentücher. Diese beiden Instrumente setzen wir am häufigsten ein, und das stimmt. Es ist ein empfehlenswertes Werkzeug. FG3 [8] Gerne greife ich auf die kognitive Verhaltenstherapie zurück, besonders für den Umgang mit Emotionen im Zusammenhang mit Depression. Das ermöglicht den Betroffenen, in Worte zu fassen, was sie gerade tun, was sie empfinden. FG3 | |
Werkzeuge des Know-hows für den Umgang mit dem Kontext | Kontext pflegen | Man versucht, die Person in ihren Kontext zu setzen und ihren Kontext zu pflegen, damit es sich nicht um einen Depressiven in der Psychiatrie handelt, sondern um einen Menschen, der gerade eine schlechte Phase durchlebt oder der ein schweres Leben hat oder der viele Probleme hat; gleichzeitig kann sich all dies verändern, alles kann sich bewegen und sich entwickeln. FG2 |
Mit anderen Berufsgruppen zusammenarbeiten | Es steht ja ein gutes Netz zur Verfügung, in dem man [...] bestimmte Aspekte, die an der Problematik der chronischen Depression einen Anteil haben, delegieren kann. FG1 | |
Werkzeuge für sich selbst | Zusatzausbildung absolvieren | Ja, es gibt Hausärzte, denen es schlecht geht. Wenn man keine Zusatzausbildung hat, wenn man kein Werkzeug zur Verfügung hat, keine Referenzgruppe – da genügen zwei, drei dieser Patienten und 50 Notfälle, und schon geht es einem schlecht. Es ist also ein Risikoberuf. FG2 |
Lernen, mit dem Echo der Emotionen umzugehen | Zu Beginn ist das etwas, mit dem nur schwer umzugehen ist [...] Die Patientenemotionen, die uns erfassen und mit unseren ein Echo bilden. FG3 | |
Die Pflegeperson pflegen | Die Pflegeperson pflegen, um in der Lage zu sein, Mitgefühlsmüdigkeit zu vermeiden; diese Müdigkeit kann gegenüber Patientinnen und Patienten auftreten, die über zahlreiche Beschwerden klagen, aber nicht unbedingt therapietreu und nicht besonders positiv sind. FG3 | |
Darüber reden, damit es einem besser geht (Supervision) | In der Tat fühlt man sich manchmal erschöpft, und dann sind die Balint-Gruppen sehr hilfreich. Denn man kann reden und anschliessend geht es einem besser; man sieht die Patientinnen und Patienten anders, und nach einem Gespräch in der Balint-Gruppe geht es häufig auch den Patientinnen und Patienten besser. FG3 | |
Werkzeuge der sozialen Fähigkeiten | Eigene Erfahrungen berücksichtigen | Manche Personen betreut man zehn, fünfzehn Jahre. Man gewinnt Erfahrung und erlebt die Depression völlig anders als man es sich aufgrund der DSM-Definition vorstellt. Das ist konkret, man erlebt es, es sind Emotionen, die über die Ausbildung hinausgehen. FG2 |
Sich den Patientinnen und Patienten anpassen | Ich habe den Eindruck, dass es keine allgemeine Regel gibt, es hängt eher von den einzelnen Patientinnen und Patienten ab. FG3 [5] | |
Begleiten | Sie zu begleiten, bedeutet meiner Ansicht nach nicht, dass man nichts tut. Das sollte man betonen, weil manche denken, dass man bei chronisch Depressiven nichts tun kann. Nein, ich begleite sie. FG1 | |
Langfristig durchhalten | Denn darum geht es in vielen Fällen: Man muss langfristig durchhalten. FG3 | |
Auf Heilung verzichten | Wir müssen es akzeptieren, wenn wir machtlos sind. Wir müssen es akzeptieren, wenn wir nicht in der Lage sind, eine Heilung zu erreichen. FG1 | |
Werkzeugsatz | Zahlreiche Werkzeuge zur Verfügung haben | Im Vergleich zu den Psychiaterinnen und Psychiatern sind wir in einer glücklichen Lage; wir haben den Vorteil, über zahlreiche Werkzeuge zu verfügen. So können wir langfristig durchhalten. FG3 |
Eklektisch vorgehen | Natürlich können wir nicht wie die Psychotherapeuten agieren, die sich ja nur damit befassen. Wir greifen auf viele kleine Dinge zurück. Manchmal hören wir damit auf, lassen etwas beiseite, dann beginnen wir wieder damit. So können wir häufig Medikamente vermeiden, oder zumindest ihren Einsatz hinauszögern [...] FG3 | |
FG: focus groups |
Veröffentlicht unter der Copyright-Lizenz.
"Attribution - Non-Commercial - NoDerivatives 4.0"
Keine kommerzielle Weiterverwendung ohne Genehmigung.
See: emh.ch/en/emh/rights-and-licences/