CIRS – aus Fehlern lernen
Ein neu erarbeitetes Konzeptpapier für die Praxis

CIRS – aus Fehlern lernen

Aktuelles
Ausgabe
2020/12
DOI:
https://doi.org/10.4414/phc-d.2020.10327
Prim Hosp Care Allg Inn Med. 2020;20(12):368-369

Affiliations
Verantwortliche Bereich Qualität, Weiter- und Fortbildung

Publiziert am 01.12.2020

In der stationären Medizin sind CIRS(Critical Incident Reporting System)-Systeme ­bereits gut etabliert. In der ambulanten ärztlichen Praxis hingegen könnten CIRS-Systeme noch besser genutzt werden. Dr. med. Markus Gnädinger, Facharzt für ­Allgemeine Innere Medizin und CIRS-Verantwortlicher SGAIM für die ambulante Medizin, sowie Dr. med. Dominique Gut, Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin und Qualitätsverantwortlicher von pädiatrie schweiz, haben ein Konzept für den Einsatz von CIRS in ärztlichen Praxen erarbeitet.

Wieso bietet CIRS auch in der ambulanten Medizin einen grossen Nutzen?
Markus Gnädinger (MG): Wer arbeitet, dem unterlaufen mitunter kritische Zwischenfälle. Diese können der ­Patientin oder dem Patienten Schaden zufügen, das Vertrauensverhältnis mit der Patientin oder dem Pa­tienten stören und im schlimmsten Fall den Handelnden zum Opfer werden lassen («second victim»). CIRS sensibilisiert uns für fehleranfällige Verrichtungen und führt im Idealfall dazu, dass man einen kritischen Zwischenfall nicht erst selbst erleben muss, bevor man reagiert und Abläufe resilienter gestaltet.
Was kann eine einzelne Praxis konkret tun?
Dominique Gut (DG): Es gilt, ein Bewusstsein dafür zu ­schaffen, dass bei jedem von uns früher oder später kritische Zwischenfälle auftreten können. Aus diesem Grund soll eine Vertrauenskultur geschaffen werden, damit kritische Zwischenfälle in konstruktiver Weise und ohne jemanden zu verurteilen im Team besprochen werden können. Zudem sollte in jeder Praxis eine ärztliche Mitarbeiterin oder ein ärztlicher Mitarbeiter als CIRS-Verantwortliche/-r bestimmt werden. Vielleicht könnte unser Konzeptpapier auch an prominenter Stelle im SOP(Standard Operating Procedures)-Ordner der Praxis abgelegt werden.
Ist es nicht ein zusätzlicher grosser Aufwand, ein CIRS-System in der Praxis zu etablieren?
DG: Dies ist natürlich das Problem jeder Vorbeugung. Diese braucht Zeit, Geld und Energie, und die verhinderten kritischen Zwischenfälle machen sich eben nicht bemerkbar, da sie ja nie aufgetreten sind. Andererseits wird sich in der Praxis durch die Sensibilisierung und die positive Sicherheitskultur ein angenehmeres und offeneres Arbeitsklima einstellen, mit Vermeidung einer Kultur der Schuldzuweisung und Bestrafung. Dies werden auch die Patientinnen und ­Patienten spüren: Wo gerne gearbeitet wird, geht man auch lieber hin. So lohnen sich die Investitionen am Ende eben doch.
Wo liegen mögliche Stolpersteine und wie können sie überwunden werden?
MG: Unser internetbasiertes Meldesystem hat im Verlauf der letzten dreieinhalb Jahre 85 Meldungen ent­gegengenommen, dies sind gut zwei Meldungen pro Monat. Auf die circa 10 000 Haus- und Kinderärztinnen und -ärzte ist dies natürlich wenig. Wieso wird nicht mehr gemeldet? Es könnte sein, dass man einen Zwischenfall als zu banal betrachtet, als dass jemand etwas daraus lernen könnte. Oder man möchte sich nicht exponieren, deshalb ist das System anonym. Vielleicht scheut man den Aufwand – deshalb muss der Eilige nur vier Fragen beantworten, was in 10–15 Minuten erledigt ist. Mag sein, dass unser System zu wenig bekannt ist, deswegen lancieren wir alle zwei bis drei Monate ­einen CIRS-Flash in dieser Zeitschrift, sind an den nationalen Kongressen aktiv und deswegen führen wir auch dieses Interview (schmunzelt).

Neues CIRS-Konzeptpapier für ärztliche Praxen

Ist ein Zwischenfall aufgetreten, so gilt es primär, die folgenden drei Fragen zu erörtern:
– Ist eine relevante und möglicherweise bleibende Schädigung einer Patientin/eines Patienten aufgetreten?
– Handelt es sich um einen meldepflichtigen Fall?
– Könnte sich ein derartiger Zwischenfall potenziell wiederholen – in der eigenen Praxis, in der engeren Region oder überregional?
Im neuen CIRS-Konzeptpapier für ärztliche Praxen sind die einzelnen Vorgehensweisen erläutert. Es ist auf den folgenden Websites verfügbar:
Claudia Schade
Kommunikationsverantwortliche und stellver­tretende Generalsekretärin Schweizerische Gesellschaft für Allgemeine Innere ­Medizin (SGAIM)
Monbijoustrasse 43
Postfach
CH-3001 Bern
claudia.schade[at]sgaim.ch

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