Trägt die SonntagsZeitung zum Hausärztemangel bei?

Zu Risiken und Nebenwirkungen lesen Sie die Zeitung

Editorial
Ausgabe
2018/02
DOI:
https://doi.org/10.4414/phc-d.2018.01703
Prim Hosp Care (de). 2018;18(02):23

Affiliations
Chefredaktor; Leiter Chronic Care, Institut für Hausarztmedizin Zürich; Hausarzt in Zug

Publiziert am 24.01.2018

Am Anfang stand wohl der Wille, etwas über Unsicherheit in der medizinischen Diagnostik zu schreiben – ein Fakt, mit dem wir Hausärzte schon lange umgehen und der ein Begleiter unserer Arbeit ist. Dann degenerierte die Story der SonntagsZeitung zur Diffamierung unseres Berufsstandes.
Dass physikalische Untersuchungen, genau wie Elemente der Anamnese und technische Verfahren auch, keine perfekten diagnostischen Instrumente sind, liegt in der Natur der Sache. Keine Methode bietet uns eine sichere Voraussage oder Ausschluss einer Erkrankung, und das schliesst auch hochtechnisierte Verfahren mit ein. Eine Palpation oder Auskultation ist ein Mosaikstein zur korrekten Diagnose, nicht mehr und nicht weniger. Klinische Epidemiologen haben schon längst die Voraussagekraft diverser Methoden mathematisch beschrieben.
Wenn eine übereifrige Journalistin nun verschiedene Beispiele von nutzlosen Untersuchungen anführt, liegt sie durchaus im Trend: Von alten Zöpfen sollte man sich verabschieden, wenn sie nach Evidenzkriterien nichts nützen oder sogar schaden; soweit einverstanden. Wenn sie aber ihren Artikel mit «unzuverlässige Ärzte» übertitelt, wie in der SonntagsZeitung vom 7. Januar 2018 geschehen [1], dann verwechselt sie Methoden mit Akteuren und verunglimpft die Ärzteschaft pauschal. Besonders die Hausärzte werden mit dem Hinweis «so ungenau untersuchen sie» vorgeführt.
Solche Presse hilft nicht gerade mit, potenziellen Nachwuchs für die Hausarztmedizin zu begeistern. Vor allem, wenn Fakten einseitig dargestellt und beliebig Schwarze Peter verteilt werden. Jeder Hausarzt weiss um die Grenzen diagnostischer Methoden, und hat gelernt, mit einem vertretbaren Mass an Unsicherheit umzugehen. Dieses Triagieren und vernunftgesteuerte, massvolle Abklären ist sogar eine Stärke und eine Spezialität unseres Berufes.
Ein solches journalistisches Gebaren erinnert an Boulevardjournalismus und ist unprofessionell. Kommt dazu, dass zwar einer unserer Ordinarien für Hausarztmedizin zum Thema befragt und im Artikel zitiert wurde, beim Gegenlesen aber über die diffamierenden Headlines nicht informiert wurde – mehr als ärgerlich. Hoffen wir, dass dies ein peinlicher journalistischer Ausrutscher war. Zu Risiken und Nebenwirkungen, wie auch zu Nutzen und Präzision einer Abklärung, frage ich sowieso lieber meinen Hausarzt als meine Zeitung.
Dr. med. Stefan Neuner-Jehle
MPH, Institut für Hausarztmedizin
Pestalozzistrasse 24
CH-8091 Zürich
sneuner[at]bluewin.ch
1 Martina Frei, «Dr. med. Unzuverlässig», SonntagsZeitung, 07.01.2018