Die Situation bei der Tarmed-Revision ist unübersichtlich geworden

Tarifpartnerschaft auf die Probe gestellt

Offizielle Mitteilungen
Ausgabe
2016/22
DOI:
https://doi.org/10.4414/phc-d.2016.01426
Prim Hosp Care (de). 2016;16(22):404-405

Affiliations
Geschäftsstelle mfe

Publiziert am 22.11.2016

Die Tarifpartner haben es nicht geschafft, fristgerecht einen gemeinsam revidierten Tarif vorzulegen. Der Bundesrat bereitet jetzt einen Tarifeingriff vor, während curafutura, santésuisse und die fmCh/Tarifunion beim EDI eigene Vorschläge deponiert haben und die FMH die Arbeiten am gescheiterten Tarifvorschlag ats-tms 1.0 wieder aufgenommen hat. Ein Überblick.
Bis Ende Oktober hatte der Bundesrat den Tarifpartnern noch einmal Zeit gewährt, um ihm einen gemeinsam vereinbarten, gesamt- oder teilrevidierten Tarmed zu unterbreiten. Diese Frist ist ungenutzt verstrichen. Die Zeit war schlicht zu kurz. Die Ärzteschaft hatte zusammen mit H+ und MTK, aber von ­Anbeginn an ohne Beteiligung der anderen Krankenversicherer, zwar jahrelang an einer Revision gearbeitet. Das Ergebnis, der Vorschlag ats-tms 1.0, wurde aber in der Urabstimmung vom Juni 2016 abgelehnt. Aus hinlänglich bekannten Gründen hat sich auch mfe damals gegen ats-tms 1.0 ausgesprochen. Zu unausgegoren und in seinen Auswirkungen zu ungewiss erschien den Haus- und Kinderärzten das Gesamtwerk. mfe ­forderte aber nach allen Seiten, die Revisionsarbeiten müssten auf der Grundlage von ats-tms 1.0 fortgesetzt und zu einem guten Ende geführt werden. Und wo ­stehen wir heute? Der Bundesrat liess kürzlich – wenig überraschend – verlauten, dass er jetzt seine subsidiäre Kompetenz einsetzen will. Er wolle gezielte Anpassungen an einzelnen übertarifierten Leistungen vornehmen und schon im ersten Halbjahr 2017 seine Vorschläge in die Vernehmlassung schicken. Wie diese Vorschläge aussehen könnten und wie der Bundesrat insbesondere den von keiner Seite bestrittenen Anliegen der Haus- und Kinderärzte nach besseren Abgeltungen Rechnung tragen will, ist nicht bekannt.

Alleingang der Versicherer

Bekannt ist dagegen, dass santésuisse und curafutura die Gunst der Stunde nutzen wollen. Sie haben sich in den vergangenen Jahren entweder gar nicht (santé­suisse) oder nur am Rande (curafutura) um eine gemeinsame Tarifrevision bemüht, jetzt dem Bundesrat aber fristgerecht eigene Revisionsvorschläge unterbreitet. Diese begnügen sich nicht etwa damit, der bundesrätlichen Forderung nach Kostenneutralität nachzukommen, sondern versprechen – medienwirksam inszeniert – Einsparungen von jährlich 600 Millionen Franken. Wie das angesichts der aufgelaufenen Personalkosten, die seit Berechnung der Tarmed-Grundlagen vor 20 Jahren gestiegen sind, sachgerecht gehen soll, bleibt offen. Und auch wie die Besserstellung der Haus- und Kinderärzte bewerkstelligt werden kann, wird nicht klar. ­curafutura schlägt eine «einheitliche Bewertung der ärztlichen Leistungen aufgrund vergleichbarer Ausbildungsdauer» vor mit dem Ziel, die «Einkommensschere zwischen Spezialisten und Generalisten zu verkleinern». Patientengespräch und Grundversorgerleistungen würden so aufgewertet. Einsparungen sollen durch Anpassungen der Minutagen etwa in der Radiologie, der Augenheilkunde oder der ambulanten Chirurgie erreicht werden. Details sind keine bekannt. santésuisse hat sich derweil mit der fmCh/Tarifunion «für wichtige Fachgebiete wie Augenheilkunde und Kardiologie» auf Pauschaltarife geeinigt und dem Bundesrat ebenfalls eingereicht. Mit welchen Massnahmen die beiden Versicherer die Situation der Haus- und Kinderärzte zu verbessern gedenken, geht aus dem Vorschlag nicht hervor. Dass neben diesen beiden Eingaben an den Bundesrat H+ auch noch den spitalambulanten Teil von ats-tms 1.0 dem Bundesrat unterbreitet hat, zeigt nur ­eines: Die viel beschworene Tarifpartnerschaft wird ­dieser Tage stärker auf die Probe gestellt als je zuvor.

Ärztesolidarität fehlt

Bemerkenswert ist, dass mit der fmCh ein Teil der Ärzteschaft die sonst gern betonte Ärztesolidarität im jetzigen Revisionswirrwarr mit Füssen zu treten bereit ist. mfe hat sich immer wieder hinter die Tarifpartnerschaft gestellt und an der Tarmed-Revision mitgearbeitet – interessenorientiert, aber konstruktiv und kompromissbereit. Dass die Haus- und Kinderärzte am Ende einen unfertigen Tarifvorschlag ablehnten, weil sie das Hauptziel, ihre tarifarische Aufwertung, gefährdet sahen, ist nicht ihnen anzulasten. Die Forderungen von mfe jedenfalls lagen von allem Anfang an und für alle offensichtlich auf dem Tisch. Das Aus­scheren der fmCh stellt auch die dringend notwendige ­Weiterarbeit am bestehenden Revisionsvorschlag auf die Probe. mfe hat bekräftigt, am Vorschlag ats-tms 1.0 weiter arbeiten zu wollen. Auch wenn angesichts der aktuellen Lage alle Optionen geprüft werden: Langfristig tragfähige Alternativen zu Tarifpartnerschaft und ärztlicher Solidarität sind im Moment keine in Sicht.

TARCO – ein Grobkonzept für die 
Weiterführung der Tarifrevision

Während der Bundesrat also seinen Tarifeingriff vorbereitet und andere Tarifpartner ihre eigenen Süppchen kochen, geht die Knochenarbeit für einen neuen Tarif weiter. Das ist richtig und wichtig, auch wenn derzeit noch offen ist, wie die Arbeiten zu einem erfolgreichen Ende geführt werden können. Die FMH hat das Revisionsprojekt TARCO aufgegleist. TARCO versteht sich vorerst als Grobkonzept für eine Weiterführung der Tarifrevision. Im Rahmen der laufenden Arbeiten sollen unter anderem die Tarifierungsgrundsätze vollständig überarbeitet und eine neue Organisationsstruktur für die Revision erarbeitet werden. Wir stehen damit noch am Anfang der Fortsetzungsarbeiten. Das bietet die Chance, zentrale Fragen, die im bisherigen Prozess ungeklärt oder ausgeklammert blieben, noch einmal à fonds zu verhandeln. Dazu gehört zweifellos die Frage der Dignitäten. mfe hat sich immer hinter die Forderung gestellt, das geltende Dignitätskonzept sei ersatzlos zu streichen, weil es heute keine vernünftigen Gründe mehr gibt für die unterschiedliche Bewertungen von ärztlichen Fachleistungen. Das Argument von langen Hungerjahren im Spital hat jedenfalls ausgedient. Der Widerstand gegen die Abschaffung der ­Dignitäten ist innerhalb der Ärzteschaft aber sehr gross und zum eigentlichen Knackpunkt für die weitere Arbeit geworden. Eine eigens dafür eingerichtete Arbeitsgruppe Dignitäten der FMH sucht derzeit nach Kompromissen, unter Mitwirkung von mfe. Die Haus- und Kindeärzte sind bereit, über Dignitätskonzepte zu verhandeln, sofern sie als Grundlage das gleiche ärztliche Lebenseinkommen haben. Welche weiteren Kriterien unter dieser Bedingung noch vernünftig berücksichtigt werden können und sollen, seien es Fähigkeitszeugnisse, weitere Spezialisierungen usw., ist ebenso offen wie umstritten.

Weitere Informationen zum aktuellen Tarifgeschehen

Mitteilung zur Tarifeingabe beim Bundesrat: http://www.santesuisse.ch/de/details/content/aerztlicher_pauschal­tarif_dem_bundesamt_fuer_gesundheit_eingereicht/
Mitteilung zur Tarifeingabe beim Bundesrat http://
curafutura.ch/tarife/tarmed/display/show/detail/tarmed-hoechste-zeit-fuer-sofortmassnahmen/
auf die Tarifeingaben der Versicherer: http://www.hausaerzteschweiz.ch/information/news – Revision ­Ambulanter Arzttarif (Tarmed)
auf die Tarifeingaben der Versicherer: http://fmh.ch/files/pdf18/2016_10_28_Medienmitteilung_Einreichung_Tarifvorschlag_D.pdf
zum geplanten Tarifeingriff: https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-64388.html
Erste Informationen zum : http://fmh.ch/files/pdf18/SAEZ_38_TARCO_D.pdf
Sandra Hügli-Jost
Kommunikationsbeauftragte Hausärzte Schweiz, Geschäftsstelle
Effingerstrasse 2
CH-3011 Bern
sandra.huegli[at]
hausaerzteschweiz.ch