Informationsblatt für Ärztinnen und Ärzte

Informationsblatt für Ärztinnen und Ärzte: Factsheet 1: Cannabis

Lernen
Ausgabe
2016/20
DOI:
https://doi.org/10.4414/phc-d.2016.01376
Prim Hosp Care (de). 2016;16(20):384-386

Affiliations
a Klinik für Pneumologie, Universitätsspital Zürich; b Pneumologie, Ostschweizer Kinderspital, St. Gallen.

Publiziert am 26.10.2016

Einleitung

Cannabis bezeichnet die Hanfpflanze, deren Bestandteile, wie die getrockneten blütennahen Blätter (Cannabiskraut, Marihuana, Gras) oder das aus Pflanzenteilen gewonnene Cannabisharz (Haschisch, Dope, Shit), als Rauschmittel konsumiert werden. Die häufigste Form des Cannabiskonsums ist das Rauchen von Joints (selbstgedrehte Zigaretten ohne Filter aus zerbröseltem Haschisch oder Marihuana mit Tabak vermischt) [1]. Der psychoaktive Wirkstoff ist vor allem das Cannabinoid ∆9-Tetrahydrocannabinol (THC), das die Aktivität des Zentralnervensystems verlangsamt und in hohen Dosen halluzinogen wirkt. Der Gehalt an THC im Cannabis ist in den letzten Jahren gestiegen, zugleich ist die Menge des Wirkstoffs Cannabidiol (CBD), dem man eine anxioloytische, antipsychotische, antiinflammatorische, antiemetische und neuroprotektive Wirkung zuschreibt, gesunken bzw. ist nicht mehr nachweisbar [1–4]. Beim Rauchen von Cannabis wird ein THC-Peak nach ca. 30 Minuten erreicht, nach 8–12 Stunden ist THC im Plasma meist nicht mehr nachweisbar [3, 5]. Aufgrund der Lipidlöslichkeit wird THC jedoch im Fettgewebe gespeichert und kann auch noch nach Stunden wieder ins Blut abgegeben und im Urin noch nach Tagen nachgewiesen werden [4].
Im Jahr 2010 gaben 10% der 13- bis 29-jährigen Schweizerinnen und Schweizer (ca. 170 000 Personen) einen gegenwärtigen und 31% einen ehemaligen Cannabiskonsum an. Die Altersgruppe von 19 bis 24 Jahren wies mit 14% den höchsten aktuellen Cannabiskonsum auf [5]. Damit ist Cannabis die am weitesten verbreitete 
illegale Droge in der Schweiz und nach Tabak die zweithäufigste gerauchte Substanz. Bei der Mehrzahl der Anwender bleibt es beim Probierkonsum. Eine Abhängigkeit entsteht bei knapp 10% der Anwender [6]. Die regelmässigen und häufigen Cannabiskonsumenten gelten als Risikogruppe für die Entwicklung von nachhaltigen Gesundheitsstörungen [1, 7].

Wirkungen

Die akute Wirkung von Cannabis variiert je nach Dosis, Häufigkeit, Applikationsform, Erfahrung des Nutzers und seiner Empfindlichkeit gegenüber psychoaktiven Substanzen. Die Datenlage ist oft unzureichend, um feste Aussagen bezüglich der Wirkungen bei längerfristiger Anwendung zu machen, weil gleichzeitig auch andere schädliche Stoffe aufgenommen werden [1, 6]. Die Tabellen 1 und 2 fassen die wichtigsten bekannten akuten Wirkungen bei alleiniger Anwendung und bei Kombination mit anderen Drogen zusammen [1, 4, 7–10].
Tabelle 1: Akute Wirkungen von Cannabis-Konsum.
– psychisch:– Euphorie, Enthemmung
– verändertes Erleben von Zeit und Raum
– Depersonalisation, Derealisation
– Beeinträchtigung des Kurzzeitgedächtnisses, 
Lernbehinderung*
– Reaktionszeit beeinträchtigt*
– Angst und Agitiertheit*
– Psychosen, Paranoia*
– akustische, optische oder taktile Illusionen, Halluzinationen bei erhaltener Orientierung*
– Beeinträchtigung motorischer Koordination und Fahrtüchtigkeit mit erhöhtem Unfallrisiko*
– physisch: – erhöhte Herzfrequenz
– tiefer Blutdruck
– Mundtrockenheit
– verstärkter Appetit
– konjunktivale Injektion
– Vasodilatation
– Durst
– Schläfrigkeit, Müdigkeit
– reduzierter Tränenfluss
– Muskelrelaxation
– Obstipation
– Harnverhalt
– Schwindel
* Effekte bei Anwendung in hohen Dosen
Tabelle 2: Wirkungen von Cannabis in Kombination mit anderen Drogen.
Cannabis kombiniert mit: 
Kokainstarker Blutdruck- und Herzfrequenzanstieg, 
Kardiotoxizität vermutet
Alkoholstarke Übelkeit, Erbrechen, Panik, Paranoia
Amphetaminen/ Ecstasyverminderte Motivation, Gedächtnisstörungen
Benzodiazepine, Barbiturate, Opioide, Antihistaminika, MuskelrelaxantienBenommenheit, ZNS-Depression

Langzeitgebrauch

Empirisch ist gut belegt, dass ein früh im Leben begonnener, hochdosierter, langjähriger und regelmässiger Cannabisgebrauch das Risiko für unterschiedliche Störungen der psychischen und körperlichen Gesundheit und der altersgerechten Entwicklung erhöht [1, 7].
Da die Konsumenten Cannabis meist zusammen mit Tabak konsumieren und/oder auch regelmässig Zigaretten rauchen, ist das Verständnis der pulmonalen Auswirkungen von Cannabis erschwert. Weitere Faktoren, die eine grössere Schadstoffaufnahme im Vergleich zur Tabakzigarette begünstigen sind: Anwendung ohne Filter, höhere Verbrennungstemperatur, tiefere Inhalation mit längerer Verweildauer in der Lunge und Beimischung von Tabak [1]. Es konnte gezeigt werden, dass das Rauchen von Cannabis im Vergleich zu Zigaretten mit einer fünfmal höheren Menge an Carboxyhämoglobin im Blut und einer dreimal höheren inhalierten Menge an Teer vergesellschaftet ist. Des Weiteren zeigte Cannabis eine um 33% grössere Teer-Retention in den Atemwegen und ein insgesamt 66% grösseres inhaliertes Volumen, das durchschnittlich viermal länger in der Lunge gehalten wurde als beim Zigarettenrauch [7]. Nachgewiesene Effekte des Cannabisrauchens auf die Atemwege umfassen eine verstärkte ­Mukussekretion, eine Atemwegshyperämie sowie Plattenepithel­metaplasien. Im Cannabis­rauch sind unter anderem höhere Konzentrationen von Ammonium, Hydrogencyanid, Stickstoffmonoxid (NO), Teer und Kohlenstoffmonoxid (CO) als im Zigarettenrauch vorhanden, was eine höhere Toxizität des Cannabisrauchs vermuten lässt [1].
Bei der lang anhaltenden Anwendung von Cannabis kommt es zu Symptomen einer chronischen Bronchitis. Die Auswirkungen auf die Lungenfunktion sowie die Entstehung von COPD und Lungenkrebs sind nicht zweifelsfrei ­geklärt [11]. Gehäuft sind Pneumothoraces und grob-bullöse Lungenerkrankungen [12]. Zudem lässt sich eine Erniedrigung des fraktionierten exhalierten Stickstoffmonoxids (FeNO) in der Ausatmungsluft nachweisen (ähnlich wie beim Tabakkonsum). Da Cannabis häufig mit Aspergillus fumigatus oder potenziell pathogenen gramnegativen Keimen kontaminiert ist, kann dies das Risiko einer Pneumonie erhöhen [1].
Aufgrund der häufigen Überlappung mit Tabak­konsum können kardiovaskuläre Effekte oftmals nicht eindeutig dem Cannabiskonsum alleine zugeordnet werden [1]. Die kardiovaskuläre Ereignisrate ist bei Cannabiskonsumenten in auffälliger Weise erhöht, ohne dass man bisher den kausalen Zusammenhang definitiv belegen konnte. Ein unmittelbarer zeitlicher Zusammen­hang mit dem Cannabiskonsum wurde schon für folgende Krankheitsbilder festgestellt: Akutes Koronarsyndrom, periphere Gefässerkrankungen und zerebrale Komplikationen.
Bei den psychischen Langzeitfolgen steht die Toleranzbildung bzw. Abhängigkeit sowie das Amotivations­syndrom (AMS) im Vordergrund, das durch Teilnahmslosigkeit, Passivität, Gleichgültigkeit gegenüber den Alltagsanforderungen und allgemeine Antriebsverminderung gekennzeichnet ist [4]. Gerade letzteres führt in der Pubertät häufig zum Abbruch der Schule oder Lehre. Ausserdem kann ein chronischer Cannabiskonsum zu Psychosen führen [4, 13].

Entzugssyndrom und Unterstützung

Innert 48 Stunden nach abrupter Beendigung eines chronischen Cannabiskonsums kann es zu einem Cannabisentzugssyndrom mit psychischen Symptomen (z.B. Unruhe, Ängstlichkeit, Aggressivität etc.) und vegetativen Symptomen (Schmerzen, Zittern, Schwitzen etc.) kommen [1, 4]. Die Entzugssymptome dauern bis zu zwei Wochen an, wobei das Symptommaximum nach zwei bis fünf Tagen auftritt. Aufgrund der im Vergleich zu Opiaten und Benzodiazepinen eher milden Entzugserscheinungen von Cannabis werden in der ­Regel keine medikamentösen Unterstützungsmassnahmen zur Behandlung von Entzugssymptomen eingesetzt. Es existiert zurzeit auch keine evidenzbasierte pharmakologische Therapie für den Cannabisentzug[13, 14]. Kognitive Verhaltenstherapie und motivierende Gesprächsführung sind Therapieansätze, die in Studien erhöhte Erfolgsraten beim Cannabisentzug aufwiesen. Therapieansätze mit THC-Substitution gelten noch als experimentell und können zum jetzigen Zeitpunkt nicht empfohlen werden [14–16]. Die medizinische Anwendung von CBD und THC (z.B. bei multipler Sklerose) und die synthetischen Cannabinoide sind nicht Teil dieser Zusammenfassung. Sie können jedoch einen Einfluss auf Morbidität und Mortalität haben [17].

Fahrtauglichkeit

Die Wirkung von Cannabis bei einem einzelnen ­Menschen kann sehr unterschiedlich sein, je nach Situation, in welcher Cannabis konsumiert wird. Cannabis schränkt die Fahrtüchtigkeit für mehrere Stunden ein: Insbesondere wurden verminderte Kontrolle über das Fahrzeug, erhöhte Reaktionszeiten, eingeschränkte Urteilsfähigkeit bezüglich Zeit und Entfernungen, ­Müdigkeit, verschlechterte motorische Koordination und verminderte Konzentration vor allem bei längeren, monotonen Strecken nachgewiesen. Durch die Kombination von Alkohol und Cannabis können diese Auswirkungen viel deutlicher ausfallen, als es bei der ­alleinigen Verwendung von Cannabis der Fall ist 
[1, 7, 9].

Gesetzliche Situation

Der Besitz von Cannabismengen unter 10 g für den 
Eigenkonsum ist in der Schweiz straffrei. Der Konsum von Cannabis kann mit einer Ordnungsbusse geahndet werden. Bei nicht direkt beobachtetem Cannabiskonsum sowie Besitz und Konsum von Cannabismengen über 10 g ist mit einem strafrechtlichen Verfahren zu rechnen. Für Minderjährige ist der Konsum immer strafbar. Der Verkauf von Cannabis kann mit einer Geldstrafe oder einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren, bei gewerbs- oder bandenmässigem Vorgehen bis zu 20 Jahren bestraft werden. Grundsätzlich ist der Anbau von Hanf mit einem THC-Gehalt über 1,0% strafbar. Im Strassenverkehr gilt für Cannabis die Null­toleranz. Bei einem positiven Drogenschnelltest drohen Geldbusse, Haftstrafe und Führerscheinentzug.
Die Entkriminalisierung von Cannabiskonsum und -besitz wird zurzeit diskutiert. Cannabis wird in zahlreichen Publikationen auch als Heilmittel beschrieben, wobei qualitativ hochstehende Untersuchungen fehlen und daher die Evidenzlage für den ­medizinischen Einsatz noch ungenügend ist, um Nutzen-Risiko-Analysen vorzunehmen [7].
Wir danken Fr. Dr. rer. pol. Tania Weng für die Durchsicht 
des Manuskriptes.
PD Dr. med.
Macé M. Schuurmans
Universitätsspital Zürich
Klinik für Pneumologie
Rämistrasse 100
CH-8091 Zürich
mace.schuurmans[at]usz.ch
 1 Kreuter M, Nowak D, Rüther T, Hoch E, Thomasius R, Vogelberg C, et al. Cannabis-Position Paper of the German Respiratory Society (DGP). Pneumologie. 2016;70(2):87–97.
 2 Niesink RJ, van Laar MW. “Does Cannabidiol Protect Against Adverse Psychological Effects of THC?”. Frontiers in Psychiatry (Review). 2013;4:130. doi:10.3389/fpsyt.2013.00130. PMC 3797438. PMID 24137134.
 3 NHTSA. “Drugs and human performance factsheet: Cannabis/ Marijuana” .
 4 Täschner KL. Cannabis – Biologie, Konsum und Wirkung. Deutscher Ärzte-Verlag, 4. Erweiterte Auflage, 2005.
 5 Ashton CH. “Pharmacology and effects of cannabis: a brief review”. The British Journal of Psychiatry. 2001;178(2):101–6. doi:10.1192/bjp.178.2.101. PMID 11157422.
 6 IBSF, «Ergebnisse des Schweizerischen Cannabismonitorings: Kohortenstudie cmo3», 28.02.2012. http://www.suchtschweiz.ch/fileadmin/user_upload/DocUpload/RR_Cannabismonitoring_Cmo3.
 7 Volkow ND, Baler RD, Compton WM, Weiss SR. Adverse health effects of marijuana use. N Engl J Med. 2014;370(23):2219–27.
doi: 10.1056/NEJMra1402309. Review.
 8 Parakh P, Basu D. “Cannabis and psychosis: have we found the missing links?”. Asian J Psychiatr (Review). 2013;6(4):281–7. doi:10.1016/j.ajp.2013.03.012. PMID 23810133.
 9 Ramaekers JG, Robbe HW, O’Hanlon JF. Marijuana, alcohol and actual driving performance. Hum Psychopharmacol 2000;
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10 Tashkin DP. Effects of Marijuana Smoking on the Lung.
Ann Am Thorac Soc. 2013;10:239–247.
11 Callaghan RC, Allebeck P, Sidorchuk A. Marijuana use and risk
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12 Beshay M, Kaiser H, Niedhart D, Reymond MA, Schmid RA. Emphysema and secondary pneumothorax in young adults smoking cannabis. Eur J Cardiothorac Surg. 2007;32(6):834–8.
Epub 2007.
13 Drewe M, Drewe J, Riecher-Rössler A. Cannabis and risk of psychosis. Swiss Med Wkly. 2004;134:659–66.
14 Cooper K, Chatters R, Kaltenthaler E, Wong R. Psychological and psychosocial interventions for cannabis cessation in adults:
a systematic review short report. Health Technol Assess. 2015;19(56):1–130.
15 Vandrey R, Haney M. Pharmacotherapy for cannabis dependence: 26 how close are we? CNS Drugs 2009;23:543–53.
16 Marshall K, Gowing L, Ali R, Le Foll B. Pharmacotherapies for cannabis dependence. Cochrane Database Syst Rev. 2014;12:CD008940. doi: 10.1002/14651858.CD008940.pub2.
17 Trecki J, Gerona RR, Schwartz MD. Synthetic cannabinoide-related illness and deaths. NEJM. 2015;373:103–7.