Einseitig und unkritisch – und
Jugendliche sind keine Erwachsenen
Brief zu: Rudolph H, Burgermeister N, Schulze J, Gross P, Hübscher E, Garcia Nuñez D. Von der Psychopathologisierung zum affirmativen Umgang mit Geschlechtervielfalt. Swiss Med Forum. 2023;23(04):856–60 und Garcia Nuñez D, Rudolph H, Flütsch N, Meier C, Wenz F, Müller A, et al. Geschlechtsangleichende Behandlungsmöglichkeiten bei Menschen mit Geschlechtsinkongruenz. Swiss Med Forum. 2023;23(04):862–65.
Beim Lesen der April-Nummer des Swiss Medical Forum bin ich an den beiden Übersichtsartikeln «Von der Psychopathologisierung zum affirmativen Umgang mit Geschlechtervielfalt» und «Geschlechtsangleichende Behandlungsoptionen bei Menschen mit Geschlechtsinkongruenz» hängen geblieben. Die Artikel haben mich verstört, weil die Fakten und Probleme in den beiden Artikeln sehr einseitig und unkritisch wiedergegeben werden und der Eindruck entsteht, dass mit hormoneller Therapie und geschlechtsangleichender Chirurgie ein Geschlechtswechsel problemlos möglich sei. In den Artikeln wird nicht erwähnt, dass der heute zu beobachtende exponentielle Anstieg von transgender Personen vor allem Mädchen im Alter zwischen 13–17 Jahren betrifft, die sich erstmals mit Eintritt der Pubertät im falschen Geschlecht wähnen [1, 2]. Durch den postulierten affirmativen Umgang erhalten diese jungen Mädchen aufgrund ihres Leidensdruckes die Möglichkeit, medizinische Massnahmen einzuleiten, deren Konsequenzen sie selbst, aber auch die behandelnden Personen in keiner Weise abschätzen können.
Natürlich lehne ich jede Diskriminierung von Transpersonen ab und bezweifle in keiner Weise, dass eine Transition einiger Betroffener aus zwingenden inneren Gründen möglich sein sollte. Was mich besorgt, ist, dass in der neuesten Version der «Standards of Care», die die «Association for Transgender Health» herausgegeben hat und auf die sich die Autorinnen und Autoren der oben genannten Artikel beziehen, das Mindestalter für die Verabreichung von Pubertätsblockern, geschlechtsübergreifenden Hormonen oder geschlechtsangleichenden Operationen gestrichen wurde. Das bedeutet, dass ein Kind, sofern es das Tanner-Stadium 2 erreicht hat, was bereits mit neun Jahren der Fall sein kann, für eine Behandlung qualifiziert. Gleichzeitig wird dem Kind die Anerkennung der geschlechtlichen Selbstbestimmung auf Basis der Selbstwahrnehmung zuerkannt («Yogyakarta Principles»). Nun ist aber der Anstieg von transgender Personen gerade bei Jugendlichen in der Pubertät zu beobachten, einer Phase, wo man sich naturgemäss mit seiner Geschlechtsrolle und dem sich reifungsbedingt verändernden Körper auseinandersetzen muss. Und besonders in der Pubertät gilt die Auseinandersetzung mit dem Widerspruch der Eltern oder anderer Bezugspersonen als zentraler Bestandteil für eine gesunde Reifung.
Kritische Fragen sind beim Thema Trans unerwünscht, obwohl die Zahlen einem zu denken geben müssten. Die Anzahl von Minderjährigen, die wegen eines Leidensdrucks infolge der empfundenen Geschlechtsinkongruenz vorstellig werden, ist in den letzten Jahren deutlich um mehrere 1000% gestiegen. Was stutzig machen muss, ist insbesondere die Veränderung, was die Verteilung der Geschlechter betrifft. Früher waren es vor allem männliche Jugendliche, die von Genderdysphorie betroffen waren, und ihre Zahl blieb relativ konstant. Heute sind es zu 80% Mädchen. Hier fällt auf, dass diese meist eine normale Kindheit erlebt haben und erst während der Pubertät eine Geschlechtsinkongruenz fühlten. Zusätzlich wurde gezeigt, dass viele dieser Mädchen unabhängig vom Gender-Problem psychisch auffällig sind.
In der Schweiz wurden zwischen 2018 und 2021 laut dem Bundesamt für Statistik zehn Mädchen im Alter zwischen 10 und 14 Jahren die Brüste chirurgisch entfernt – es gibt dafür keine andere Indikation als die Genderdysphorie. Die Brustamputationen haben sich in dieser Zeit bei den 14- bis 18-Jährigen von 15 auf 58 Eingriffe mehr als verdreifacht.

Das Problem der Altersgruppe

Die Pubertät ist eine schwierige Zeit. Vieles verändert sich, weniges bleibt, wie es war. Körper, Seele und auch die Beziehungen zum Umfeld werden anders. Der Körper verändert sich von Tag zu Tag und immer wieder stellt sich den Jugendlichen die Frage, ob ihre Entwicklung normal verlaufe [3]. Sie vergleichen sich mit weiblichen oder männlichen Idealbildern und sehen sich oft enttäuscht. Der sich verändernde Körper muss neu kennengelernt werden. In dieser Altersgruppe entstehen laufend viele neue Ideen, die rasch zu unumstösslichen Gewissheiten werden. Chatforen, Instagram oder TikTok ermöglichen den Austausch mit Gleichgesinnten. Sind Betroffene einmal in der transaffirmativen Blase gelandet, finden sie dort ähnlich betroffene Peers und auch Fachleute. Alles, was sie von jetzt an lesen und hören, wird sie in ihrer Wahrnehmung, dass sie im falschen Körper wohnen würden und dass man das relativ einfach beheben könne, bestätigen. Von der Gender-affirmativen Psychiaterin zum Gender-affirmativen Endokrinologen und weiter zur Gender-affirmativen Chirurgin ergibt sich keine wirklich kritische Auseinandersetzung mit dem wahrgenommenen Problem mehr. Das alte Umfeld, das relativiert und warnt, insbesondere die Familie, bleibt oft aussen vor. Eltern, die kritische Fragen stellen, werden als «transphob» abgestempelt und so ihren Kindern zusätzlich entfremdet. Auch in der Schweiz berichten Eltern, dass alles zu schnell gehe. Insbesondere werfen die Eltern den Fachleuten vor, dass zu wenig abgeklärt werde, ob das Bedürfnis nach einer Transidentität nicht die Folge von akuten psychischen Schwierigkeiten und seelischen Nöten darstellen könnte [4], die zuerst behandelt werden müssten, bevor man das Bedürfnis punkto Geschlechtsidentität und Geschlechtsumwandlung beurteilen könne.

Zusammenfassung

Anstatt die Ursachen dieser epidemieartigen Zunahme bei den jungen Mädchen, die sich als trans wahrnehmen, wissenschaftlich fundiert zu untersuchen, werden bereits in sehr jungen Jahren Pubertätsblocker verabreicht und Operationen durchgeführt.
Es geht um eine Frage von hoher politischer Relevanz, die zurzeit von sogenannten Fachleuten dominiert wird, ohne dass die Politik und die Öffentlichkeit wirklich auf die Problematik aufmerksam geworden sind. Wenn heute Therapeutinnen und Therapeuten und Ärztinnen und Ärzte nicht mehr ergebnisoffen die Motive des «Transitionswunsches» zusammen mit dem Kind oder der/dem Jugendlichen ansprechen und untersuchen können, weil sie nicht als transphob abgestempelt werden möchten, hat die Trans-Lobby ganze Arbeit geleistet.
Prof. Dr. med. Urs Eiholzer,
Leiter Pädiatrisch-Endokrinologisches Zentrum Zürich
Die Replik auf den Leserbrief finden Sie unter https://smf.swisshealthweb.ch/fr/article/doi/fms.2023.1312461480.
1 de Graaf NM, Carmichael P, Steensma TD, Zucker KJ. Evidence for a Change in the Sex Ratio of Children Referred for Gender Dysphoria: Data From the Gender Identity Development Service in London (2000-2017). J Sex Med. 2018;15(10):1381–3.
2 Aitken M, Steensma TD, Blanchard R, VanderLaan DP, Wood H, Fuentes A, et al. Evidence for an altered sex ratio in clinic-referred adolescents with gender dysphoria. J Sex Med. 2015;12(3):756–63.
3 Grieser J, Eiholzer U. Der «kranke» Jugendliche. In: Stier B, Weissenrieder M (Hrsg.). Jugendmedizin. Heidelberg: Springer Medizin Verlag; 2005. p. 125–31.
4 Dhejne C, Van Vlerken R, Heylens G, Arcelus J. Mental health and gender dysphoria: A review of the literature. Int Rev Psychiatry. 2016;28(1):44–57.
Conflict of Interest Statement
Der Autor ist Leiter und Besitzer (Gründer) des Pädiatrisch-Endokrinologischen Zentrums Zürich (PEZZ).

© Thomas Gowanlock | Dreamstime.com

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