… und hatte Granny vielleicht doch recht (mit dem Lebertran)?
Brief zu: Eberli F. Omega-3-Fettsäuren: chronischer Hype ohne Evidenz? Swiss Med Forum. 2023;23(17):42–6.
Kürzlich war im New England Journal of Medicine zu lesen [1]: Frühgeborene Kinder, die zwischen der 29–36. errechneten postmenstruellen Woche randomisiert enteral eine vorwiegend Docosahexaensäure (DHA) enthaltende Suspension für sieben Wochen erhielten, zeigten einen signifikant höheren Intelligenz-Quotienten (IQ) im Alter von fünf Jahren.
Diese Studie ist exemplarisch für unsere Antwort auf den Beitrag von Franz Eberli im Swiss Medical Forum (SMF) und aus mehreren Gründen relevant: Sie ist sauber durchgeführt, randomisiert, verblindet, Investigator-initiiert in Australien, unterstützt vor allem durch den australischen nationalen Forschungsrat und (korrekt deklariert) durch die Nu-Mega™ Ingredients Company, mit dem ursprünglichen Ziel der verbesserten Lungenreifung. Das Placebo ist erwähnenswert: In der total 1273 Kinder umfassenden Studie enthielt es einen Anteil an «positiver» (C18;n3) Alpha-Linolensäure (ALA) und Linol-Säure, hatte also das Potential des positiven Bias in der Kontrollgruppe (siehe unten). Die Studie zeigt damit einen positiven Effekt von DHA-Supplementen auf die Hirnentwicklung. Sie weist zudem auf eine Rolle der Subtypen der Omega-3-Fettsäuren (n3-FA) hin. In der Review des SMF wird sie leider lediglich als negatives Beispiel (in Bezug auf Lungenreifung aus dem Jahr 2019) zitiert, die aktuelle Analyse (IQ) wird nicht erwähnt; «keine Wirkung auf Demenz» wird später pauschal entschieden. Global wird angemerkt, es sollten keine weiteren Studien mehr zum Thema durchgeführt werden (sic!). Dies zeigt die mehrfache Problematik des Artikels [2].
Eine kritische Point-by-Point-Response würde den Rahmen eines «Letters to the Editors» sprengen. Hier nur einige für die kritische Leserschaft relevanten Aspekte:
  1. Eine kritische (Re-)View ist stets willkommen. Hier erhalten die Leserinnen und Leser eine deutlich negative Meinung («Hype ohne Evidenz?»). Eine aktuelle, balancierte Review findet sich zum Beispiel im aktuellen «National Institute of Health»-(NIH-)Beitrag zum Thema [3].
  2. Gut belegt sind antiinflammatorische, plättchenhemmende, antioxidative, antiatherosklerotische und blutdrucksenkende Beobachtungen und Mechanismen, die sich mit einer reduzierten Anzahl Hirnschläge und Rezidive venöser Thromboembolien (VTE) [4–13] sowie mit verbesserter Kognition assoziieren (siehe oben, [1, 14]). Speziell attraktiv sind die antiinflammatorischen Effekte [4, 15], kongruent zu modernen kardiovaskulären Interventionen [16–19].
  3. Vor dem Hintergrund multipler kardiovaskulärer Risiken ist von einer nutritiven respektive Supplement-Intervention in der Regel kein rascher Erfolg zu erwarten; Fragen der Risikohöhe, der Primär- oder Sekundärprävention, des Endpunkts, der Ereignisrate, der Ernährungsgewohnheiten («amerikanisch», «japanisch», «mediterran»), der n3-Dosis und des Typus des konsumierten n3 (ALA, Eicosapentaensäure [EPA], DHA, rein oder gemischt), die Dauer der Intervention sowie die Wahl des Placebos sind wichtige Gründe für divergierende Resultate. Es ist nicht trivial, eine ungesunde Ernährung und weitere Risikofaktoren mit einem nutritiven Supplement zu «kontern», oder pointierter, eine von gesättigten Fetten triefende «Hot-Dog-Diät» ist durch n3-Supplemente on top schwierig «kompensierbar».
  4. Die 1976 gestartete «Nurses’ Health Study» zeigte, dass eine erhöhte Einnahme von n3-FA und/oder Fisch mit einem niedrigeren kardiovaskulären Mortalitätsrisiko korreliert [20]. Der methodische Ansatz des Langzeit-Follow-ups von 16 Jahren ist speziell bei nutritiven Studien wertvoll (vgl. Cholesterin-Studien). Die gross angelegte (18 000 Personen) und über fünf Jahre ausgelegte japanische JELIS-Studie [21] bei Patientinnen und Patienten mit Hypercholesterinämie (>6,5 mmol/l) und grenzwertigen Triglyzeriden (knapp >1,7 mmol/l) zeigte, dass zusätzlich zu einer fischreichen, und dazu «gesunden», (japanischen) Diät die Gabe von ausschliesslich EPA (1,8 g) einen signifikanten positiven Effekt auf die Inzidenz koronarer Ereignisse hatte. Diese und weitere Studien wiesen (neben einer gewissen Dosisabhängigkeit) bereits früh auf zwei Punkte hin: a) Es scheint Unterschiede zwischen den verschiedenen n3-FA-Typen zu geben, i.e., EPA scheint eher kardiovaskulär günstig, DHA eher neuro- und nephroprotektiv, b) bei erhöhten Triglyzeriden war EPA effektiv im Vergleich zur Mischung DHA/EPA (vgl. REDUCE-IT vs STRENGTH [22–24]).
  5. Die Langzeitexpositionen sind für eine Sichtbarmachung positiver Effekte beim Menschen besonders wertvoll [20]. Im Tiermodell sind gut kontrollierbare Langzeitstudien hilfreich als «Proof of Concept»: Tiere, die zeitlebens eine ALA-reiche Diät erhalten, entwickeln – nicht nur für Kardiologinnen und Kardiologen interessant – deutlich weniger den HFpEF-ähnlichen Phänotyp (Herzinsuffizienz mit erhaltener Ejektionsfraktion) mit kardialer Fibrose (Abb. 1, [13]), weniger Apoptose, kleinere Hirnschläge, weniger Atherosklerose und weniger Gefässverschlüsse im Karotisthrombose-Modell, weniger Plättchenaktivierung [5, 11], weniger Ereignisse im inflammatorischen Risikomodell der rheumatoiden Arthritis und der Sichelzellerkrankung [6].
  6. Bei Patientinnen und Patienten mit Vorhofflimmern (Swiss-AF-Studie) war der rein nutritive Gehalt von n3-FA in den Erythrozyten assoziiert mit weniger Hirnschlägen, geringeren D-Dimer-Konzentrationen und Beta-Thromboglobulin-(BTG-)Werten als Mass für die Gerinnungsaktivierung [12]. Der Erythrozyten-n3-Gehalt korrelierte mit verbesserter Nierenfunktion [25].
  7. Ad Meta-Analysen:
    Eindrückliche nephroprotektive Effekte (saubere Metaanalyse im BMJ 2023 [26]) bestätigen unsere Daten [25]. Eine prominent publizierte Metaanalyse [27] darf nicht unerwähnt bleiben: Sie zeigt für ALA harte Endpunkte, so eine signifikant verminderte Mortalität jeglicher Ursache, signifikant verminderte kardiovaskuläre Ereignisse. Jedes zusätzliche Gramm eingenommener ALA war assoziiert mit einer 5% geringeren kardiovaskulären Mortalität, hier natürlich ohne Einfluss der REDUCE-IT-Studie, die als alle Metaanalysen beeinflussend dargestellt wird. Die differenzierte Metaanalyse von Khan et al. (2022) schloss fairerweise die negativen STRENGTH- und OMEMI-Studien mit ein und machte den interessanten Unterschied zwischen DHA/EPA- und reiner EPA-Gabe. Sie fand für beide Interventionen klar positive Resultate [28]. Eine ebenfalls positive Metaanalyse chinesischer Studien fand die signifikante Reduktion inflammatorischer Marker [15].
  8. Der REDUCE-IT-Trial mit 4 g verestertem reinem EPA als Intervention wird als Resultat in Zweifel gezogen, weil die Studie deutlich positiv abschloss bei Risikopersonen mit Hypertriglyzeridämie [22]. Amarin erhielt mit dieser Studie die Zulassung für EPA in den USA und in Europa. Mit dem fast gleichzeitig publizierten, negativen STRENGTH-Trial wird dagegen gehalten [23]: a) Der Effekt des Placebo (Paraffin-Öl – das in Abführmitteln in Gebrauch ist und limitiert resorbiert wird – vs Corn-Oil) steht für Franz Eberli ursächlich und deshalb wird REDUCE-IT verworfen; der besagte Placeboeffekt wurde von der «Food and Drug Administration» (FDA) lediglich als «mögliche minor effect-size» beurteilt (0,3 bis maximal 3%) und EPA von der FDA [29] und ebenso von der europäischen Behörde [30] zugelassen. Es ist deshalb problematisch, die Studie aufgrund methodischer Daten nicht zu akzeptieren. In der Open-Label-Studie ohne Placebo (RESPECT EPA) war die EPA ebenfalls effektiv [31], hier mit nur 1,8 g EPA in Analogie zu JELIS. b) Der reine Gehalt an EPA (in REDUCE-IT) vs. die Mischung von EPA/DHA (in STRENGTH) scheint (wie bei JELIS) bedeutsam. Eine Kompetition besteht im Einbau von EPA vs. DHA [32], c) das kardiovaskuläre Risiko der ausgewählten Populationen differierte, d) ebenso die Hintergrund-Medikation. In Analogie zu JELIS [21] scheint reines EPA in dieser Indikation und Dosis für einen positiven Effekt (inklusive Primärprävention bei Patientinnen und Patienten mit Diabetes) verantwortlich.
  9. Die aktuellen Empfehlungen der FDA, NIH und der amerikanischen Kardiologinnen und Kardiologen lauten derzeit 1,1 g ALA/Tag für Frauen bis 1,6 g (pflanzliches) ALA/Tag für Männer – respektive 2× fettigen Fisch pro Woche; 1 g n3-FA (EPA und DHA) sekundär präventiv bei Herzkrankheit, hauptsächlich in Form von Fisch oder auch Supplementen in ärztlicher Absprache [3]. Sie entsprechen den Dosierungen, die von Schacky und Harris passend zu einem empfohlenen n3-Index von >8% der Erythrozyten formten [33].
  10. Die Interpretation der bei Franz Eberli zitierten Referenz 4 (bei uns 37) muss korrigiert werden: Vegetarisch fischfreie Diäten hatten erwartungsgemäss weniger Gehalt an gesättigten Fettsäuren und etwas mehr pflanzenderivierte ALA, jedoch signifikant weniger längerkettige n3-FA, was aufgrund der neueren Resultate relevant ist und die tiefe Konversionsrate beim Menschen bestätigt (<1%; bekannte günstige Ausnahmen Schwangerschaft und Östrogen-Medikation [34, 35]).
  11. Entsprechend korreliert ein tiefer n3-Gehalt der Erythrozyten (n3-Index: n3-FA/totale Menge an FA [33, 36]) von <4% mit mehr kardiovaskulären Ereignissen. Der individuelle Gewebeausgangswert lässt somit eine individuelle Titration zu, die gemäss von Schacky mit 1000–1500 EPA/DHA über zwölf Wochen erreicht werden kann [33, 36].
Zusammenfassend teilen wir die Ansicht einer fehlenden Evidenz nicht und hoffen gerne, mit dem Beitrag die Diskussion anzuregen und eine ausgewogene Entscheidungsfindung bei der n3-FA-Einnahme zu unterstützen. Die erwähnten positiven Studien, die Metaanalysen mit und ohne REDUCE-IT untermauern unsere Botschaft.
Weitere Untersuchungen zur Klärung der verbleibenden Fragen (Langzeitinterventionen, Primärprävention, Typus der eingesetzten n3-FA) sind wünschenswert, ebenso die Umstellung der Produktion auf pflanzliche Produkte (ALA, Algen-derivierte EPA oder DHA) sowie der von Prof. Eberli zu Recht geforderte und konkret zu realisierende, qualitätssichernde (Schwermetalle, Phenole im Fisch, oxidierte und kontaminierte Produkte), ökologische und tierschonende Umgang (Verzicht) mit den Fischerei-Ressourcen.
Prof. Dr. Jürg H. Beera,b,
cand. PhD Meret Allemann, MSc
b
a Kantonsspital Baden, Baden
b Zentrum für Molekulare Kardiologie, Plättchenforschung, Universität Zürich, Schlieren
Die Replik zu diesem Leserbrief finden Sie unter https://smf.swisshealthweb.ch/fr/article/doi/fms.2023.1312355631.
1 Gould JF, Makrides M, Gibson RA, et al. Neonatal Docosahexaenoic Acid in Preterm Infants and Intelligence at 5 Years. N Engl J Med. 2022;387(17):1579–88.
2 Franz Eberli. Omega-3-Fettsäuren: chronischer Hype ohne Evidenz? Swiss Med Forum. 2023;23(17):1026–30.
3 National Institute of Health [Internet]. Omega-3 Fatty Acids – Fact Sheet for Health Professionals. Updated February 2023 [cited 2023 May 15]. Available from:
Funding Statement
JHB hat angegeben, Forschungsunterstützung vom Schweizerischen Nationalfonds (Grant-Nr. 324730_163339 und 310030_220142) sowie von der Swiss Heart Foundation und Kardio Foundation Baden erhalten zu haben. MA hat deklariert, Forschungsunterstützung vom Schweizerischen Nationalfonds erhalten zu haben (Grant-Nr. 324730_182328).
Conflict of Interest Statement
JHB hat deklariert, Vortragshonorare (zuhanden der Institution) von Bayer, Daiichi Sankyo, Astra Zeneca und Sanofi erhalten zu haben. Er hat zudem angegeben, keinen Support von jeglichen n3-Produkte produzierenden Firmen erhalten zu haben.

© Thomas Gowanlock | Dreamstime.com

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