Werbebroschüre der Stiftung für Konsumentenschutz (mit Replik)

Briefe / Mitteilungen
Édition
2022/06
DOI:
https://doi.org/10.4414/bms.2022.20541
Bull Med Suisses. 2022;103(06):182-183

Publié le 08.02.2022

Werbebroschüre der Stiftung für Konsumentenschutz (mit Replik)

Sehr geehrte Frau Stalder,
vor einigen Tagen flatterte mir eine Werbepost der Stiftung für Konsumentenschutz ins Haus. Überschrift: Unterstützen Sie unseren Kampf gegen überhöhte Krankenkassenprämien. Im Text wurde dann auf unrechtmässig überhöhte Rechnungen von Ärzten/Ärz­tinnen und Spitälern abgehoben, so als sei dieses Problem massgeblich für zu hohe Krankenkassen­prämien verantwortlich. Man solle doch bitte den Konsumentenschutz unterstützen, der als Einziger gegen dieses Übel kämpft und die Interessen der Bevölkerung gegenüber Ärzten/Ärztinnen und Spitälern verteidigt.
Geht’s eigentlich noch? Auf der Suche nach neuen Spender:innen spielen Sie die billigste und gleichzeitig infamste Karte, die es gibt. Sie unterstellen einen ganzen Berufsstand dem Generalverdacht des systematischen Abrechnungsbetrugs. Nirgends ein Wort dar­über, dass es diesen Betrug zwar gibt, dass er sich aber im absoluten Promillebereich bewegt. Nirgends ein Hinweis darauf, dass die Krankenkassenprämien selbst dann, wenn man den Betrug komplett abstellen könnte, allenfalls um wenige Promille sinken würden (also um ein paar Franken pro Familie und Jahr).
Ich gehe davon aus, dass Sie selbstverständlich die Faktoren, die massgeblich für die ­Steigerung der Gesundheitskosten verantwortlich sind, genau kennen. Aber mit Hinweisen auf Demografie, Lebenserwartung, neue Technologien und Anspruchshaltung von Patient:innen gewinnt man natürlich keine neuen Spender:innen. Ärzte/Ärztinnen am Pranger machen sich da viel plakativer.
Ich empfinde Ihre Broschüre als Schlag ins Gesicht. Wenn Sie sich schon so vehement gegen Betrug einsetzen, dann erwarte ich, dass Sie Ihre Erfolge bei Aufklärung und Strafverfolgung transparent machen, die schwarzen Schafe aus dem Verkehr ziehen und den Rest meiner Kolleg:innen mit dem Dank und dem Respekt behandeln, den wir verdienen. Vielleicht ist Ihnen noch der Slogan der Pflegeinitiative in Erinnerung: «Klatschen allein reicht nicht.» Es wäre höchste Zeit, sich zu schämen.

Replik auf «Werbebroschüre der Stiftung für Konsumentenschutz»

Sehr geehrter Herr Dr. med. Graf
Dass es sich bei ungerechtfertigt hohen ­Abrechnungen von Leistungserbringern um ein reales, massives und weit verbreitetes ­Problem handelt, haben die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht FINMA [1], der Preisüberwacher [2] und der Bundesrat [3] jüngst festgestellt. Ein Beispiel: Laut dem Preisüberwacher verursachen privatversicherte Patienten Zusatzkosten von durchschnittlich rund 1800 Franken, die Spitäler stellen aber fast 9000 Franken in Rechnung. Auch die FINMA hat Haarsträubendes aufgedeckt. Etwa Tarif­verträge, welche automatisch zu ungerechtfertigt hohen Honoraren führen, oder den Fall eines Patienten, über dessen Zusatzver­sicherung 40 Ärztinnen und Ärzte ohne Begründung Honorarrechnungen gestellt haben. Die Kosten für all diese Machenschaften zahlen die Patientinnen und Versicherten.
Die aufgedeckten Fälle zeigen, dass die Kon­trolle durchwegs versagt hat: Ärztinnen, Ärzte und Spitäler, Krankenkassen sowie die Aufsicht von Bund und Kantonen schauen viel zu wenig genau hin. Selbstverständlich wäre auch die Kontrolle durch Patientinnen und Patienten wichtig. Solange aber Arzt- und Spitalrechnungen für Laien derart unverständlich sind und die Pflicht zur Rechnungskopie von vielen Leistungserbringern ignoriert wird, ist dies schlicht unmöglich.
Wenn alle Kontrollen versagen, ist es die Aufgabe des Konsumentenschutzes, aktiv zu werden. Wir haben zahlreiche Hinweise auf un­gerechtfertigt hohe Abrechnungen erhalten, prüfen diese und zeigen fehlbare Ärzte und Leistungserbringer bei den Behörden an. Eine erste kürzlich eingereichte Strafanzeige richtet sich gegen Ärztinnen und Ärzte des Rheumatologiezentrums an der Hirslanden Klinik im Park [4].
Dass Sie die Vorwürfe an Ihren Berufsstand ungerecht finden, kann ich nachvollziehen. Selbstverständlich rechnen viele Ärztinnen und Ärzte korrekt ab. Umso mehr sollte sich dieser Teil der Ärzteschaft darum bemühen, dass fehlbare Leistungserbringer nicht ungeschoren davonkommen – denn diese schaden dem ganzen Gesundheitssystem, nicht nur den Patientinnen und den Versicherten.
Sara Stalder, Geschäftsleiterin Stiftung für Konsumentenschutz
PS: Der Konsumentenschutz ist unabhängig von Unternehmen und Politik und deshalb auf Kleinstspenden und Gönnerbeiträge und auf die von Ihnen erwähnten Briefe [5] angewiesen.

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