Dr. Lara Valeska Maul, Leiterin der Dermatologischen Poliklinik des Universitätsspitals Basel

«Künstliche Intelligenz kann den Dermatologen nicht ersetzen»

Tribüne
Édition
2021/48
DOI:
https://doi.org/10.4414/bms.2021.20279
Bull Med Suisses. 2021;102(48):1628-1630

Affiliations
Freie Journalistin BR, Olten

Publié le 30.11.2021

Am Universitätsspital Basel wird seit 2019 der schweizweit erste 3D-Ganzkörperscanner eingesetzt, der innert weniger Minuten sämtliche Muttermale einer Person erfassen und auf Auffälligkeiten prüfen kann. Seit Anfang 2021 untersuchen Hautärztin Dr. Lara Valeska Maul und ihr Team in einer Studie, wie gut der Scanner abschneidet – auch im Vergleich zu einem 2D-Fotoanalysesystem und einer Smartphone-App.

Zur Person

Dr. Lara Valeska Maul hat in Kiel, Deutschland, Humanmedizin studiert und promoviert. Einen Teil ihrer Facharztausbildung absolvierte sie an der Universitätsklinik Kiel im Studienteam von Herrn Prof. Hauschild, einem weltweit renommierten Melanomexperten. Dabei war sie an diversen Phase-I-IV-Studien im Bereich der Dermatoonkologie beteiligt, die zur Zulassung von zielgerichteten Therapien und ­Immuntherapien geführt haben. Seit 2017 ist sie in der Schweiz als Hautärztin tätig. 2019 kam sie als Oberärztin in die Dermatologie ans Universitätsspital Basel, wo sie seit 2020 die Dermato­onkologie und seit 2021 die dermatologische Poliklinik leitet.
Sie und Ihr Team haben Anfang des Jahres eine Studie zur Früherkennung vom malignen Melanomen bei Hochrisikopatienten gestartet. Wie kam es dazu?
Mein persönlicher Schwerpunkt liegt in der Dermato­onkologie. In den letzten Jahren sind erfreulicherweise diverse neue Immuntherapien und zielgerichtete ­Therapien zugelassen worden, die das Gesamtüber­leben von Patientinnen und Patienten mit malignem Melanom wesentlich verbessert haben. Die Sterblichkeit ist jedoch weiterhin hoch: Jährlich wird in der Schweiz bei etwa 2800 Menschen ein Melanom festgestellt, etwa 320 Menschen sterben jedes Jahr an schwarzem Hautkrebs. Der entscheidende Schlüssel für eine günstige Prognose bleibt weiterhin, dass wir Melanome früh­zeitig erkennen und rechtzeitig operativ entfernen.
Und hier können fotogestützte Bildanalysesysteme einen Beitrag leisten?
Ja, genau. 2D-Ganzkörpersysteme werden bereits in diversen Schweizer Spitälern und dermatologischen Praxen eingesetzt. Und auch hier am Universitätsspital ergänzen wir die klassische Untersuchung durch uns Hautärzte mit auf künstlicher Intelligenz basierenden fotogestützten Bildanalysesystemen: Seit mehreren Jahren setzen wir das 2D-Fotoanalysesystem Foto­Finder ein. Seit Sommer 2019 haben wir zusätzlich den schweizweit ersten 3D-Ganzkörperscanner, der es uns erlaubt, sämtliche Muttermale einer Person innerhalb weniger Minuten aufzunehmen und auf Auffälligkeiten zu prüfen. Solche fotogestützten digitalen Systeme können uns Mediziner dabei unterstützen, neue melanozytäre Läsionen und klinische Veränderungen bestehender pigmentierter Läsionen zu erkennen, die auf eine maligne Transformation hindeuten können.
Wenn diese Systeme bereits in der Praxis zum Einsatz kommen: Warum ist noch eine Studie dazu nötig?
Studien konnten bereits demonstrieren, dass künst­liche Intelligenz genauso gut und vereinzelt sogar besser ist als die Früherkennung, die durch einen Arzt durchgeführt werden kann. Aber es gibt bisher noch keine Studie, die vergleicht, wie gut diese unterschiedlichen Systeme im klinischen Alltag abschneiden im direkten Vergleich zueinander. Zudem wollten wir diese Systeme, die wir Mediziner anwenden, vergleichen mit einer von Patienten eingesetzten Smartphone-App, die in Deutschland bereits als CE-zerti­fiziertes Medizinprodukt zugelassen ist. Denn es gibt immer mehr solche Apps, mit denen die Leute ihre Muttermale selbst analysieren können – aber bisher keine grosse Beobachtungsstudie, die zeigt, wie gut solche Apps in der Hautkrebsfrüherkennung tatsächlich abschneiden.
Wie gross schätzen Sie das Potenzial von foto­gestützten Systemen und künstlicher Intelligenz bei der Früherkennung von Hautkrebs ein?
Sehr gross. Die künstliche Intelligenz hat in der gesamten Medizin eine neue Ära eröffnet. Besonders vielversprechend ist sie in Bereichen, in der die Auswertung von Bildern eine zentrale Rolle spielt – wie eben in der Dermatologie, aber auch in der Radiologie oder in der Ophthalmologie.
Die Datenbanken der Systeme, die zur Früherkennung von Melanomen eingesetzt werden, enthalten ein ex­orbitantes Vielfaches von bestätigten Bilddateien von ­Melanomen, als ein erfahrener Hautarzt in seiner gesamten Laufbahn gesehen haben kann. Sequenzielle Ganzkörperaufnahmen ermöglichen es zudem, den zeitlichen Verlauf zu dokumentieren: Sowohl neue pigmentierte Läsionen als auch die dynamische Veränderung bestehender Naevi werden so frühzeitig erkannt. Und das hilft, Melanome frühzeitig zu erkennen und ­einem prognostisch ungünstigen Krankheitsverlauf vorzubeugen.
Ich persönlich denke, dass wir künstliche Intelligenz in Zukunft routinemässig im medizinischen Alltag einsetzen werden.
Wie steht es mit Smartphone-Apps zur ­Früherkennung von Hautkrebs?
Damit sie tatsächlich einen Nutzen haben und von Laien gefahrlos eingesetzt werden können, müssten solche Anwendungen extrem sensitiv und spezifisch in ihrer Diagnostik sein. Und es gibt Hinweise aus Studien, dass Smartphone-Apps auch eine Gefahr darstellen können. Das war für mich ein Grund, warum ich diese in unserer Studie mit den Medizinprodukten, die wir Ärzte anwenden, vergleichen möchte.
Weshalb kann die Anwendung solcher Apps ­gefährlich sein?
Einerseits kann es Menschen unnötig verunsichern, wenn eine App ein Risiko für ein Melanom anzeigt, wo in Wirklichkeit gar keines besteht. Vor allem aber wäre es verheerend, wenn die App ein Melanom nicht erkennt und jemand dann nicht zur empfohlenen dermatologischen Untersuchung geht, weil er oder sie sich in falscher Sicherheit wiegt.
Fotogestützte digitale Systeme unterstützen die Suche nach malignen Transformationen. © 2021 ­FotoFinder ­Systems GmbH.
Wenn man solche Apps verwendet, sollte man sich bewusst sein, dass ihre Sensitivität und Spezifizität nicht gleich hoch sind wie die der Medizinprodukte, die wir Spezialisten einsetzen. Es werden hierbei auch nur makroskopische Fotos aufgenommen und analysiert und keine Nahaufnahmen, wie wir sie mit Hilfe eines Dermatoskops machen können.
Werden künstliche Intelligenz und fotogestützte Systeme Hautärztinnen und Hautärzte künftig überflüssig machen?
(Lacht) Nein. Aus meiner Sicht können mit künstlicher Intelligenz unterstützte Ganzkörperfotosysteme den Hautarzt auch in Zukunft nicht ersetzen, obschon ihre diagnostische Genauigkeit teilweise bereits beein­druckend ist. Natürlich werden sie unsere Mittel und ­Möglichkeiten erweitern. Aber in gewissen Bereichen stossen die fotogestützten Systeme, die wir heute einsetzen, noch immer an Grenzen. Naevi auf der behaarten Kopfhaut oder im Bereich der Schleimhäute beispielsweise können mit Hilfe solcher Systeme bislang nicht oder nur unzureichend erfasst und geprüft werden. Auch können Tattoos oder farbliche Markierungen auf der Haut ihre Algorithmen verwirren.
Vor allem aber werden die zwischenmenschlichen Interaktionen im klinischen Alltag weiterhin unerlässlich bleiben, und auch die persönliche Beratung der ­Patientinnen und Patienten.
Diese fotogestützten Systeme oder Smartphone-Apps sagen einem ja auch nicht: Hautkrebs oder nicht.
Genau. Sie errechnen für pigmentierte Läsionen einfach einen bestimmten Risikoscore. Den muss man dann interpretieren. Und es gibt bisher keine Empfehlung, ab welchem Risikoscore eine melanozytäre Läsion exzidiert werden sollte. Auch das ist eine Fragestellung unserer Studie: Ab welchem Cut-off Score sollte man empfehlen, eine Exzision durchzuführen? Momentan muss der Mediziner das aufgrund seiner Erfahrung individuell entscheiden. Da ist es beispielsweise wichtig zu wissen, ob jemand in der Kindheit viele Sonnenbrände hatte oder ob enge Familien­angehörige an schwarzem Hautkrebs erkrankt sind. Die künstliche Intelligenz kann und soll uns Mediziner in Zukunft unterstützen, aber sie kann uns nicht er­setzen.

Der 3D-Ganzkörperscanner am Universitätsspital Basel

Im Sommer 2019 wurde am Universitätsspital Basel der schweizweit erste 3D-Ganzkörperscanner Vectra WB360 in Betrieb genommen. 92 integrierte Kameras erlauben es, die gesamte Hautoberfläche einer Person in einer einzigen Aufnahme zu erfassen. Die Bilder werden dann von einer Software zu einem 3D-Modell zusammengesetzt, einer sogenannten 3D-Bodymap. Darauf können Ärztinnen und Ärzte mit einer integrierten Bildgebungssoftware Läsionen markieren, deren Risikoscore errechnen lassen, sie beobachten und bei Bedarf mit dermatoskopischen Nahaufnahmen und Notizen ergänzen.
Der Ganzkörperscanner kann neben der Hautkrebsfrüherkennung auch in der plastischen und rekonstruktiven Chirurgie eingesetzt werden, oder um Verbrennungen oder Hautkrankheiten wie Psoriasis zu dokumentieren. Weltweit kommt er bislang an 20 Kliniken in Europa, Australien und Nordamerika zum Einsatz.
Der Einsatz von 3D-Ganzkörperscanner steht in der Schweiz erst am Anfang. © ­Canfield Scientific.
Dr. Lara Valeska Maul,
Universitätsspital Basel laravaleska.maul[at]usb.ch.

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