Nächtliche Kopfschmerzen und Kaffee hilft?
Seltener, meist gutartiger Kopfschmerztyp

Nächtliche Kopfschmerzen und Kaffee hilft?

Fallberichte
Ausgabe
2018/17
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2018.03276
Schweiz Med Forum 2018;18(17):386-388

Affiliations
Neurorehabilitation, RehaClinic Bad Zurzach

Publiziert am 24.04.2018

Schlafgebundene Kopfschmerzen kommen zwar selten vor, präsentieren sich aber mit einem typischen Krankheitsbild, meistens bei Frauen und nach dem 50. Lebensjahr.

Hintergrund

Wir berichten über zwei Patienten mit einer seltenen Art primärer Kopfschmerzen, den sogenannten «primären schlafgebundenen Kopfschmerzen» («hypnic headache»).
Auch wenn schlafgebundene Kopfschmerzen selten vorkommen, präsentieren sie sich mit einem typischen Krankheitsbild, meistens bei Frauen und nach dem 50. Lebensjahr. Charakteristisch ist, dass die Kopfschmerzen die Patienten in der Nacht wecken. Die Pathophysiologie ist noch unklar. Die Behandlung mit Koffein beziehungsweise einer Tasse Kaffee vor dem Schlafengehen bewirkt bei vielen Patienten Schmerzlinderung.
Ziel dieser Fallberichte ist, die Aufmerksamkeit auf diesen meist gutartigen, wenn auch seltenen Kopfschmerztyp zu lenken. Er ist leicht zu erkennen und kann oft mit einer einfachen Therapie behandelt werden.

Fallbeschreibungen

Fall 1

Eine 79-jährige Patientin litt seit zirka eineinhalb Jahren unter einem halbseitigen Kopfschmerz von pulsierendem Charakter, der mehrmals pro Woche nachts respektive frühmorgens auftrat. Die Anfälle waren so stark, dass der Schlaf unterbrochen wurde, meist zwischen 00h30–03h00. Darüber hinaus berichtete die Patientin über eine leichte Übelkeit.
Anamnestisch bestand bereits seit langer Zeit eine bekannte degenerative Veränderung der Halswirbelsäule mit Nackenschmerzen sowie eine Migräne als junge Erwachsene. Die Kopfschmerzen wurden als chronifizierte Migräne bei Medikamentenübergebrauch interpretiert. Die bisherigen medikamentösen Therapieversuche mit Topiramat, Venlafaxin, Duloxetin, lokaler Infiltration des Nervus occipitalis beidseits mit Kortison sowie eine externe Neurostimulation mittels Einsatz eines Cefaly®-Gerätes brachten keine Besserung. Nur Sumatriptan führte zu einer leichten Schmerzlinderung. Die Patientin wurde uns bei starkem Leidensdruck zur stationären Neurorehabilitation zugewiesen.
In der klinischen Untersuchung bestand kein Hinweis auf ein fokal neurologisches Defizit. In der Computertomographie des Schädels zeigten sich keine pathologischen Befunde.
Neben dem multimodalen Schmerzprogramm begannen wir eine prophylaktische Behandlung mit einer Tasse Kaffee kurz vor dem Zubettgehen. Die Patientin hatte jedoch Schwierigkeiten einzuschlafen. Um die Koffeindosierung besser anpassen zu können, stellten wir auf Koffeintabletten (Coffeinum 200 mg, teilbar) zur Nacht um. Die Patientin nahm anfangs eine ½ Ta­blette und dann später eine ¾ Tablette. Die nächtlichen Anfälle sind daraufhin komplett verschwunden und der Nachtschlaf verlief erholsam, bis auf zwei Tage, als die Patientin probatorisch das Koffein weggelassen hatte. In der Verlaufsuntersuchung nach vier Wochen blieb die Situation unverändert stabil.

Fall 2

Eine 60-jährige Patientin litt seit der Pubertät unter einer Migräne ohne Aura. Die Kopfschmerzen waren abwechselnd rechts oder links, meist fronto-orbital, selten auch okzipital lokalisiert, von stechendem Schmerzcharakter und starker Intensität. Als Begleitsymptome bestanden Übelkeit, Phono- und Photophobie sowie Geruchs­empfindlichkeit. Zusätzlich trat bei der Patientin seit eineinhalb Jahren ein nächtlicher Kopfschmerz auf, der sie zwischen zwei und drei Uhr morgens weckte. Sie berichtete über zirka 10–20 solcher nächtlicher Schmerzanfälle pro Monat. Die Patientin ­arbeitete zu 100% als Pflegefachfrau.
Ambulante Massnahmen bestehend aus Physiotherapie sowie medikamentösen Therapieversuchen mit ­Paracetamol, Ibuprofen, Tramadol, Diclofenac, Azetylsalizylsäure und Triptanen hatten keine Wirkung ­gezeigt, führten jedoch zu dem Verdacht einer Chro­nifizierung der bekannten Migräne durch Medi­kamentenübergebrauch. Die Patientin versuchte, die Triptane zu reduzieren, was im ambulanten Setting nicht gelang. Entsprechend wurde sie für einen stationären Analgetikaentzug mit anschliessendem multimodalem Rehabilitationsprogramm zugewiesen. Bei der klinischen Eintrittsuntersuchung bestanden keine neurologischen Defizite.
Die Patientin hatte schon vor ihrer klinischen Vorstellung in unserer Sprechstunde auf Empfehlung einer Arbeitskollegin morgens eine Tasse Kaffee getrunken, was in den Morgenstunden leichte Schmerzlinderung gebracht hatte. Die nächtlichen Kopfschmerzen waren jedoch erst nach der Etablierung einer Einnahme vor dem Zubettgehen rückläufig. Der Schlaf war bei dieser Patientin nicht gestört.

Diskussion

Die Kopfschmerzen bei beiden Patientinnen erfüllen die Kriterien der Internationalen Kopfschmerzgesellschaft («International Headache Society» [IHS]) für einen primär schlafgebundenen Kopfschmerz oder «hypnic headache» (Tab. 1, «International Classification of Headache Disorders» ICHD-3 beta [1]).
Tabelle 1: Diagnostische Kriterien des primären schlafgebundenen Kopfschmerzes («hypnic headache») gemäss der «International Classification of Headache Disorders» ICHD-3 beta (Übersetzung und Nachdruck aus: Headache Classification Committee of the International Headache Society; The international classification of headache disorders; 3rd edition; Cephalalgia 2018;38:1–211. Mit freundlicher Genehmigung der International Headache Society und Sage Publications Ltd).
ARezidivierender Kopfschmerz, der die Kriterien B–E erfüllt.
BKopfschmerz beginnt ausschliesslich im Schlaf und erweckt den Patienten.
CDer Kopfschmerz tritt an mindestens 10 Nächten pro Monat auf, über einen Zeitraum von >3 Monaten.
DDer Kopfschmerz hält mindestens 15 Minuten nach dem Aufwachen an und kann bis zu 4 Stunden dauern.
EKeine autonomen Symptome, kein Unruhegefühl.
FDer Kopfschmerz ist nicht auf eine andere ICHD-3-Kopfschmerzform zurückzuführen.

Epidemiologie und Klink

Der primäre schlafgebundene Kopfschmerz wurde erstmals 1988 von Raskin beschrieben [2]. Er beginnt gewöhnlich ab einem Alter von über 50 Jahren. Frauen sind etwa doppelt häufig betroffen wie Männer. Pathognomonisch ist das Auftreten von Kopfschmerzattacken «ausschliesslich im Schlaf», welche die Patienten wecken. Meist nur eine Episode pro Nacht, oft stets zur selben Zeit auf. Deshalb ist dieser Kopfschmerz im angelsächsischen Raum auch als «alarm clock headache» bekannt. Die Schmerzlokalisation kann bilateral, aber auch einseitig sein, meist bei mässiger Intensität [3, 4]. Migränöse Symptome wie Übelkeit, Phono- und Photophobie können in etwa 30% begleitend sein. Etwa bei einem Drittel der Patienten findet sich auch eine Mi­gräne in der Vorgeschichte, was bei unseren Patientinnen ebenfalls der Fall war.
Die Diagnose eines schlafgebundenen Kopfschmerzes basiert auf typischen anamnestischen Angaben und dem Ausschluss einer anderen, insbesondere sekundären Ätiologie.

Differentialdiagnose

Die Differentialdiagnose nächtlicher Kopfschmerzen reicht vom Cluster-Kopfschmerz und anderen trigeminoautonomen Kopfschmerzattacken bis hin zu gefährlichen Ursachen wie einer intrakraniellen Blutung oder anderen Raumforderungen. Das ICHD-3-Kriterium C, «Der Kopfschmerz tritt an mindestens 10 Nächten pro Monat auf, über einen Zeitraum von >3 Monaten», also das repetitive Auftreten, macht einen symptomatischen Kopfschmerz unwahrscheinlich. Die Erstmanifestation im Alter von über 50 Jahren und das nächtliche Erwecken stellen jedoch ausreichende Gründe («red flags») dar für eine eingehende Abklärung [5]. Eine Bildgebung vom Kopf sollte zum Ausschluss eines symptomatischen Kopfschmerzes zum Beispiel im Rahmen eines Hydrozephalus, Hirntumors etc. erfolgen. Weitere Ursachen wie eine hypertensive Entgleisung oder eine Riesenzellarteriitis sind durch entsprechende anamnestische, klinische oder laborchemische Massnahmen zu abzuklären. Migränekopfschmerzen reissen die Patienten typischerweise nicht aus dem Schlaf, sondern können sie wecken oder beginnen in den frühen Morgenstunden [6]. Auch Kopfschmerzen im Rahmen eines Schlafapnoesyndroms treten eher am Morgen auf. Tagsüber sind die Patienten in der Regel schmerzfrei.
Wie bei vielen anderen primären Kopfschmerzen ist auch bei diesem Kopfschmerztyp der Pathomechanismus noch nicht vollständig geklärt. Die scheinbare Zyklizität, die typischen zeitlichen Muster mitten im Schlaf deuten auf eine Verbindung mit hypothalamischen Strukturen hin [7].

Therapie

Aktuell ist die empfohlene Therapie empirisch und nicht evidenzbasiert, weil entsprechende randomisiert-kontrollierte Studien bei der eher geringen Pa­tientenzahl fehlen und nur Beobachtungsstudien vorhanden sind.
Koffein oder koffeinhaltige Analgetika haben bisher die beste Wirksamkeit für die Akutbehandlung gezeigt. Das Ansprechen auf Triptane wurde auch berichtet.
Als prophylaktischen Medikamente sind Lithium, Koffein und Indometacin die bevorzugten Therapien. Koffein kann entweder als Tablette (40–200 mg) oder in Form einer Tasse Kaffee vor dem Schlafengehen bereits prophylaktisch eingenommen werden. Schlafstörungen stellen die häufigste Koffeinnebenwirkung dar und können durch Einnahme direkt vor dem Einschlafen vermindert werden [8].
Indometacin (bis 3×50 mg täglich) oder Lithium (150–600 mg täglich) stehen als Second-Line-Therapie zur Verfügung. Lithium hat jedoch eine enge therapeutische Breite, besonders bei älteren Patienten, und ist bei Menschen mit einer kardiovaskulären Erkrankung oder bei einer Niereninsuffizienz relativ kontraindiziert.

Das Wichtigste für die Praxis

• Bei einem neu aufgetretenen nächtlichen Kopfschmerz, inbesondere bei Patienten über 50 Jahren, sollte eine weitere Diagnostik mittels Bildgebung vom Kopf erfolgen.
• Die schlafgebundenen Kopfschmerzen zeigen ein typisches Muster und können bei der ersten Vorstellung des Patienten erkannt werden.
• Typischerweise spricht dieser seltene Kopfschmerztyp sehr gut auf Koffein an.
Die Autoren haben keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.
Margarida Clamote,
dipl. Ärztin
RehaClinic Bad Zurzach
Quellenstrasse 34
CH-5330 Bad Zurzach
m.clamote[at]rehaclinic.ch
1 Headache Classification Committee of the International Headache Society; The international classification of headache disorders; 3rd edition; Cephalalgia 2018;38:1–211. (www.ichd-3.org)
2 Raskin N. The Hypnic Headache Syndrome. Headache. ­1988;28:534–6.
3 Evers S, Goadsby PJ. Hypnic headache: clinical features, pathophysiology, and treatment. Neurology. 2003;60:905–9.
4 Liang JF, Wang SJ. Hypnic Headache: A Review of clinical features, therapeutic options and outcomes. Cephalalgia. 2014;34:795–805.
5 Dodick DW. Diagnosing headache: clinical clues and clinical rules. Adv Stud Med. 2003;3:S550–5.
6 Sturzenegger M, Gantenbein AR, Sándor PS. Sogenannt primäre Kopfschmerzen – Teil I. Schweiz Med Forum. 2012;12:72–7.
7 Holle D, Naegel S & Obermann M. Pathophysiology of hypnic headache; Cephalalgia. 2014;34:806–12.
8 Holle D, Obermann M. Hypnic headache and caffeine. Expert Rev Neurother. 2012;12:1125–32.

© Marilyn Barbone | Dreamstime.com

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