Infektionen am Lebensende richtig behandeln

Organisationen
Ausgabe
2024/3334
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2024.1416320082
Schweiz Ärzteztg. 2024;105(33-34):40-42

Affiliations
a Dr. med., Infektiologie und Spitalhygiene, Luzerner Kantonsspital (bis zum 31.10.2023 tätig am Kantonsspital St. Gallen)
b Dr. med., Klinik für Infektiologie, Infektionsprävention und Reisemedizin, Kantonsspital St. Gallen
c Dr. med., Palliativzentrum, Kantonsspital St. Gallen
d Dr. med., ehemals Klinik für Innere Medizin, Kantonsspital St. Gallen
e Dr. med., Klinik für Medizinische Onkologie und Hämatologie, Kantonsspital St. Gallen
f Prof. Dr. med., Klinik für Infektiologie, Infektionsprävention und Reisemedizin, Kantonsspital St. Gallen
g PD Dr. med., Klinik für Infektiologie, Infektionsprävention und Reisemedizin, Kantonsspital St. Gallen

Publiziert am 14.08.2024

Gesundheitliche Vorausplanung
Oft erhalten Menschen am Lebensende unnötige Antibiotikatherapien, welche mit Nebenwirkungen und der Selektion von resistenten Bakterien vergesellschaftet sind. Gesundheitliche Vorausplanung und ein individuelles Infektionsmanagement sind daher wichtig, um die Behandlung dieser Patientinnen und Patienten zu verbessern.
Infektionen gehören zu den häufigsten akuten Komplikationen am Lebensende [1]. Prädisponierende Faktoren sind unter anderem Immobilität, Malnutrition, Immunoseneszenz, Immunsuppression oder die Schädigung natürlicher Barrieren [2, 3]. Bei Patientinnen und Patienten am Lebensende werden zudem nicht infektiöse Entzündungszustände oft als Infektion fehlinterpretiert [4, 5]. Abklärungen und Interventionen führen zu einer Mehrbelastung der Patientinnen und Patienten und einem hohen, teils inadäquaten Antibiotikaeinsatz einschliesslich negativer Folgen [6, 7]. Durch gesundheitliche Vorausplanung und ein optimiertes Infektionsmanagement kann diesen entgegengewirkt werden, um die Betreuung und Behandlung von Menschen am Lebensende zu verbessern.
Gesundheitliche Vorausplanung bietet Patientinnen und Patienten die Möglichkeit, ihre Wünsche und Wertvorstellungen im Hinblick auf Krankheit, Unfall oder Pflegebedürftigkeit zu reflektieren.
© Juthamat Yamuangmorn / Dreamstime

Gesundheitliche Vorausplanung

Gesundheitliche Vorausplanung bietet Patientinnen und Patienten die Möglichkeit, ihre Wünsche und Wertvorstellungen im Hinblick auf Krankheit, Unfall oder Pflegebedürftigkeit zu reflektieren und diese mit Gesundheitsfachpersonen zu einem konsistenten Therapieziel zusammenzufassen. Eine Umfrage aus dem Jahr 2017 zeigte, dass viele Menschen in der Schweiz das Bedürfnis nach gesundheitlicher Vorausplanung haben, jedoch nur acht Prozent der Befragten bisher mit Gesundheitsfachpersonen über die Art der Behandlung und Betreuung am Lebensende gesprochen hatten [8, 9]. Aufgrund der demografischen Entwicklung wird die Zahl der jährlichen Todesfälle in der Schweiz bis zum Jahr 2040 von knapp 70 000 auf 90 000 zunehmen [8, 9]. Dies betrifft insbesondere Todesfälle von älteren Menschen. Bei rund 70 Prozent der Sterbenden tritt der Tod nicht unerwartet ein, sodass bei einem Grossteil der Patientinnen und Patienten die Möglichkeit zur gesundheitlichen Vorausplanung besteht [10]. Diese Zahlen reflektieren, wie wenig gesundheitliche Vorausplanung in der Schweiz bisher etabliert ist und wie der Bedarf danach zunehmen wird.

Infektionen gehören zu den häufigsten akuten Komplikationen am Lebensende.

Seit 2021 gibt es eine vom Bundesamt für Gesundheit und der Schweizerischen Akademie für Medizinische Wissenschaften geleitete nationale Arbeitsgruppe, die dazu beitragen soll, dass die gesundheitliche Vorausplanung in der Schweiz stärker verbreitet und wahrgenommen wird. Die Arbeitsgruppe publizierte im März 2023 eine «Roadmap für die Umsetzung der Gesundheitlichen Vorausplanung» [9], worin in zwölf Empfehlungen nötige Massnahmen zur Etablierung gesundheitlicher Vorausplanung skizziert werden. Deren Realisierung wird über die nächsten zwei Jahre erarbeitet.

Ziele setzen

In der erwähnten Roadmap ist die Wichtigkeit der individuellen Therapiezielsetzung und deren Dokumentation klar abgebildet. Zur individuellen Therapiezielsetzung sind behandelnde Ärztinnen und Ärzte in der Verantwortung, zusammen mit ihren Patientinnen und Patienten, deren Behandlungswünsche und Wertvorstellungen zu klären. Dabei sollten insbesondere bei Einzelzielen, die potenziell gegenläufige Massnahmen erfordern, wie beispielsweise Lebenserhaltung versus Förderung der Lebensqualität, entsprechende Prioritäten definiert werden. In komplexen Krankheitssituationen wird empfohlen, Fachpersonen für gesundheitliche Vorausplanung und Palliative Care beizuziehen [9, 11]. In Tabelle 1 finden sich Quellenangaben zur vertieften Auseinandersetzung mit gesundheitlicher Vorausplanung. Zu betonen gilt, dass es sich bei gesundheitlicher Vorausplanung um einen iterativen Prozess handelt, in dem in wiederkehrenden Gesprächen das individuelle Therapieziel stets neu formuliert wird.

Szenario «Infektion» ansprechen

Ziel dieses Artikels ist es, die Ärzteschaft dazu zu ermutigen, mit ihren Patientinnen und Patienten gesundheitlich vorauszuplanen. Gerade bei Patientinnen und Patienten mit fortschreitender Grunderkrankung und infauster Prognose macht es Sinn, das Szenario «Infektion am Lebensende» als ein häufig zum Tod führendes Akutereignis anzusprechen. Die Heterogenität möglicher Infektionen hinsichtlich Lokalisation, Akuität, Schweregrad und Konsequenz stellt dabei eine Herausforderung dar und erschwert ein konkretes Vorausplanen. Unserer Meinung nach ist daher auch die Frage nach Antibiotikaeinsatz am Lebensende zu komplex, als dass die Verantwortung dafür an die Patientinnen und Patienten abgegeben und mit einem simplen «Ja» oder «Nein» in einer Patientenverfügung festgehalten werden sollte. Vielmehr empfehlen wir, im Gespräch mit den zu Behandelnden abzuwägen, wie invasiv diagnostische und therapeutische Massnahmen betreffend einer Infektion sein sollen respektive sein dürfen. Die Abbildung 1 veranschaulicht Aspekte der Infektionsdiagnostik und -therapie in Bezug auf die damit verbundene körperliche und emotionale Belastung. Sie ist als mögliche Diskussionsgrundlage gedacht, um Wünsche und Vorstellungen der Patientinnen und Patienten im Hinblick auf das Szenario Infektion am Lebensende besser eruieren zu können.

Bei Menschen am Lebensende werden nicht infektiöse Entzündungszustände oft als Infektion fehlinterpretiert.

Bei der Darstellung handelt es sich um eine Expertenmeinung, wobei uns bewusst ist, dass der Grad an Belastung subjektiv unterschiedlich empfunden wird. Unsere Erfahrung hat gezeigt, dass insbesondere dem Aspekt der Fokuskontrolle oft zu wenig Beachtung geschenkt wird. Liegt eine Infektion vor, bei der eine interventionelle oder operative Sanierung nötig wäre, diese aber nicht mehr sinnvoll oder gewünscht ist, kann durch eine konservative Antibiotikatherapie allein häufig keine Ausbehandlung der Infektion erreicht werden. Im Patientengespräch sollte daher früh auf die potenziell limitierte Wirksamkeit alleiniger Antibiotikatherapien hingewiesen und diese den potenziellen Nebenwirkungen gegenüber gestellt werden.
Abbildung 1: Vier wichtige Aspekte der Infektionsdiagnostik und -therapie mit entsprechenden Beispielen und damit verbundenem Grad an Belastung jeweils von links nach rechts zunehmend; CT, Computertomographie; MRT, Magnetresonanztomographie; *interventionelle und operative Massnahmen.
© Susanne Rüfenacht

Infektionsdiagnostik und -therapie sind dem jeweiligen Lebenskontext und Therapieziel anzupassen.

Individuelles Infektionsmanagement

Wir sehen in der gesundheitlichen Vorausplanung die Möglichkeit, das Ausmass von Diagnostik und Therapie im Falle einer Infektion am Lebensende besser dem jeweiligen Lebenskontext anpassen zu können. Postulierte oder bestätigte Infektionen am Lebensende können in Abhängigkeit der Grunderkrankung oft nicht nach etablierten Prinzipien angegangen werden. Damit ein individuelles Infektionsmanagement in diesen Situationen gelingen kann, braucht es daher nebst der gesundheitlichen Vorausplanung praxisbezogene Hilfestellungen für situationsspezifische diagnostische und therapeutische Herausforderungen. Gerne verweisen wir hierzu auf unseren Artikel im Swiss Medical Forum.
susanne.ruefenacht[at]luks.ch
1 Juthani-Mehta M, Malani PN, Mitchell SL. Antimicrobials at the End of Life: An Opportunity to Improve Palliative Care and Infection Management. JAMA. 2015;314(19):2017-2018.
2 Marra AR, Puig-Asensio M, Balkenende E, Livorsi DJ, et. al. Antibiotic use during end-of-life care: A systematic literature review and meta-analysis. Infect Control Hosp Epidemiol. 2021;42(5):523-529.
3 Macedo F, Nunes C, Ladeira K, Pinho F, et. al. Antimicrobial therapy in palliative care: an overview. Support Care Cancer. 2018;26(5):1361-1367.
4 Rosenberg JH, Albrecht JS, Fromme EK, Noble BN, et. al. Antimicrobial use for symptom management in patients receiving hospice and palliative care: a systematic review. J Palliat Med. 2013;16(12):1568-1574.
5 Juthani-Mehta M, Allore HG. Design and analysis of longitudinal trials of antimicrobial use at the end of life: to give or not to give? Ther Adv Drug Saf. 2019;10:2042098618820210.
6 Givens JL, Jones RN, Shaffer ML, Kiely DK, et. al. Survival and comfort after treatment of pneumonia in advanced dementia. Arch Intern Med. 2010;170(13):1102-1107.
7 Stall NM, Fischer HD, Fung K, Giannakeas V, et. al. Sex-Specific Differences in End-of-Life Burdensome Interventions and Antibiotic Therapy in Nursing Home Residents With Advanced Dementia. JAMA Netw Open. 2019;2(8):e199557.
8 Federal Office of Public Health. Bessere Betreuung und Behandlung von Menschen am Lebensende. Bericht des Bundesrates. Federal Office of Public Health; 2020.
9 Nationale Arbeitsgruppe Gesundheitliche Vorausplanung. Roadmap für die Umsetzung, der Gesundheitlichen Vorausplanung (GVP) in der Schweiz. Bern: Nationale Arbeitsgruppe Gesundheitliche Vorausplanung; 2023.
10 Bundesamt für Statistik [Internet]. Sterblichkeit und deren Hauptursachen in der Schweiz, 2018 - Todesursachenstatistik. 2021 [cited 12.05.2023]. Available from: https://www.bfs.admin.ch/asset/de/16644530.
11 Parikh RB, Kirch RA, Smith TJ, Temel JS. Early specialty palliative care--translating data in oncology into practice. N Engl J Med. 2013;369(24):2347-2351.

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