ASAP (Antimicrobial Stewardship in Ambulatory care Platform)

Neuer Ansatz zur ambulanten Anti­biotika-Verschreibung in der Schweiz

News
Ausgabe
2024/08
DOI:
https://doi.org/10.4414/phc-d.2024.1546534955
Prim Hosp Care Allg Inn Med. 2024;24(08):211-213

Affiliations
a Service des maladies infectieuses, CHUV
b Département de médecine de famille, Unisanté, Centre universitaire de médecine générale et santé publique & Université de Lausanne, Lausanne
c Institut für Implementation Science in Health Care, University Hospital Zürich, dInstitut für Implementation Science in Health Care, Department of Infectious Diseases and Hospital Epidemiology, University Hospital Zürich
d Institut für Implementation Science in Health Care, Department of Infectious Diseases and Hospital Epidemiology, University Hospital Zürich
e Service des maladies infectieuses, HUG
f Berner Institut für Hausarztmedizin (BIHAM), UNIBE
g Bundesamt für Gesundheit
h ANRESIS

Publiziert am 14.08.2024

Das ASAP-Projekt zielt darauf ab, die Verschreibung von Antibiotika im ambulanten Bereich zu verbessern. Erfahren Sie mehr über aktuelle Forschungsprojekte und mögliche Interventionen zur Bekämpfung von Antibiotikaresistenz.

Einleitung

Die Antibiotikaresistenz ist eng mit der Verschreibung von Antibiotika verbunden, die in der Schweiz zu etwa 85% ambulant erfolgt [1]. Unter Antimicrobial Stewardship (AMS) versteht man die gebündelten Anstrengungen zur Optimierung einer sachgemässen Verschreibung von Antibiotika. Die Stewardship-Aktivitäten verfolgen das Ziel, eine Verhaltensänderung bei Klinikerinnen und Klinikern sowie in der Verschreibungspraxis zu bewirken, indem Techniken wie Audit und Feedback angewandt, Richtlinien für die Verschreibung bereitgestellt, Aufklärung von Klinikerinnen und Klinikern sowie von Patientinnen und Patienten betrieben und Systeme zur Unterstützung klinischer Entscheidungen und diagnostische Schnelltests eingesetzt werden.
AMS-Programme sind im stationären Bereich besser bekannt. In der Schweiz wurde 2016 das SwissASP (Swiss Antimicrobial Stewardship Program) für Spitäler auf Anregung des Bundesamts für Gesundheit (BAG) im Rahmen seines Programms Strategie Antibiotikaresistenzen Schweiz (StAR) eingeführt [2]. Im ambulanten Bereich dagegen wurde bislang noch keine entsprechende Initiative gestartet. Auf internationaler Ebene gibt es allerdings bereits ambulante AMS-Programme, z. B. in Kanada [3], England [4], Australien [5], Österreich [6] und den USA [7].
In den letzten Jahren sind in der Schweiz mehrere Forschungsprojekte und Initiativen rund um das Thema AMS im ambulanten Bereich entstanden, die im Rahmen von StAR durchgeführt und vom Schweizerischen Nationalfonds (SNF) über sein Nationales Forschungsprogramm 72 (NFP 72) unterstützt werden. Beispielsweise hat die Schweizerische Gesellschaft für Infektionskrankheiten nationale Richtlinien für die Behandlung von häufigen Infektionen erarbeitet. Darüber hinaus wurden Entscheidungshilfen zur Abgabe von Antibiotika für Arztpraxen und Qualitätszirkel sowie Informationsmaterial für Ärztinnen und Ärzte und Patientinnen und Patienten entwickelt.
Ein weiteres Beispiel ist das UltraPro-Projekt [8], das gezeigt hat, dass bei Verwendung von Point-of-Care-Procalcitonin (POC-PCT) in der ambulanten Praxis im Falle von akuten Infektionen der unteren Atemwege die absolute Wahrscheinlichkeit der Verschreibung von Antibiotika nach 28 Tagen um 26% senkt. Die laufende ImpPro-Studie, eine vielseitige Implementierungsstrategie für POC-PCT in der ambulanten Praxis, stützt sich auf evidenzbasierte Daten aus dem UltraPro-Projekt. Darüber hinaus hat die Studie von Aghlmandi et al. [9] gezeigt, dass Audit und Feedback zur Antibiotikaverschreibung bei Grundversorgerinnen und Grundversorgern in der Schweiz keinen Einfluss auf deren Reduktion haben. Die Implementierungswissenschaften, vertreten durch das IfIS (Institute for Implementation Science in Health Care) der Universität Zürich, haben ebenfalls die Determinanten der Implementierung eines POC-PCT-Tests in der ambulanten Praxis untersucht (Wolfensberger, in Vorbereitung). Plate et al. untersuchten auch die Determinanten der Antibiotikaverschreibung und der Antibiotikaresistenz bei der Behandlung von Harnwegsinfektionen in der Grundversorgung der Schweiz. Ihre Ergebnisse deuten auf eine allgemeine Einhaltung der Richtlinien hin, zeigen aber auch, dass bei diesen Infektionen immer noch zu häufig Fluorchinolone eingesetzt werden, obwohl Escherichia coli eine gute Empfindlichkeit gegenüber Erstlinienantibiotika aufweist [10, 11]. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Forschung zum Thema AMS dazu beiträgt, die schweizerische Praxis der ambulanten Antibiotikaverschreibung zu beleuchten und besser zu verstehen und Massnahmen vorzuschlagen, um diese Praxis zu optimieren.
Gleichzeitig wird eine Dachstruktur als unabdingbar erachtet, um diese Bemühungen weiterhin zu fördern und zu koordinieren. Diesen Platz nimmt das ASAP-Projekt (Antimicrobial Stewardship in Ambulatory care Platform) ein. Es ist Teil des One Health-Aktionsplans 2024–2027 der StAR. Dieser zielt darauf ab, auf verschiedene bestehende Dynamiken aufzubauen und die bereits etablierte Zusammenarbeit zu stärken. Durch die geplante Partnerschaft mit Implementierungswissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern und sein multidisziplinäres Team ermöglicht es der One Health-Plan Schweizer Hausärztinnen und -ärzten, die am besten geeigneten AMS-Strategien auszuwählen und diese bestmöglich an ihre Bedürfnisse anzupassen.

Das ASAP-Projekt (Antimicrobial Stewardship in Ambulatory care Platform)

Die Aufgaben des ASAP-Projekts sind:
  • Bewertung und Analyse der vorliegenden Daten zum Einsatz antimikrobieller Mittel im ambulanten Bereich zur Prioritätensetzung für Interventionen und Massnahmen;
  • Empfehlungen an die verschiedenen Akteure in Bezug auf AMS-Interventionen;
  • Unterstützung der Implementierung evidenzbasierter AMS-Interventionen;
  • Förderung des Austauschs und der Zusammenarbeit zwischen Forscherinnen und Forschern, Fachgesellschaften, Patientinnen und Patienten sowie Bundesbehörden mit einem multidisziplinären Ansatz (Allgemeinmedizinerinnen und -mediziner, Apothekerinnen und Apotheker, Spezialistinnen und Spezialisten für öffentliche Gesundheit, Psychologinnen und Psychologen, Infektiologinnen und Infektiologen, Pädiaterinnen und Pädiater).
Das BAG unterstützt das Kollegium für Hausarztmedizin (KHM) finanziell bei der Umsetzung. Die in der SAFMED (Swiss Academy of Family Medicine) zusammengeschlossenen schweizerischen Institute für Hausarztmedizin stellen ihr Fachwissen zur Verfügung. Die Plattform wird von einem wissenschaftlichen Ausschuss unterstützt, der aus Vertretern der SAFMED, der SGI (Schweizerische Gesellschaft für Infektiologie), der SGAIM (Schweizerische Gesellschaft für Allgemeine Innere Medizin), von pädiatrie schweiz, des ANRESIS (Schweizerisches Zentrum für Antibiotikaresistenzen) und des IfIS (Institute for Implementation Science in Health Care, University of Zurich) sowie des BAG besteht. Weitere Partnerschaften mit verschiedenen Akteuren des Schweizer Gesundheitswesens sind geplant.

Projektauftakt

Die verschiedenen Teilnehmerinnen und Teilnehmer trafen sich am 18. April 2024 in Freiburg im Café de l’Aigle Noir, um das ASAP-Projekt zu starten.

Präsentationszyklen

Der erste Teil des Vormittags war den Präsentationen gewidmet.
Zunächst wurde das ASAP-Projekt vorgestellt. Anschliessend präsentierte Jelena Dunaiceva, Doktorandin in Public Health bei Unisanté, die Ergebnisse einer Querschnittsstudie zur Übereinstimmung der Antibiotikaverschreibungen von schweizerischen Haus- und Kinderärzten mit den Richtlinien der Schweizerischen Gesellschaft für Infektiologie, unter Verwendung von Daten aus dem Sentinella-Netzwerk. Die Studie zeigt, dass es bei der Verschreibungspraxis noch Verbesserungspotenzial gibt. In einem zweiten Schritt stellte Siméon Schaad, ebenfalls Doktorand bei Unisanté, die Ergebnisse einer Studie vor, die sich mit der Akzeptanz, Angemessenheit und Durchführbarkeit von AMS-Interventionen bei Grundversorgerinnen und Grundversorgern in der Schweiz befasst (Manuskript in Review). Anschliessend gab Aline Wolfensberger, Infektiologin und Implementierungswissenschaftlerin, einen Überblick über die Determinanten der Antibiotikaverschreibung im ambulanten Bereich.

World-Café-Workshop

Am zweiten Teil des Vormittags fand ein Workshop zur Bewertung und Optimierung von AMS-Interventionen im ambulanten Bereich im Zusammenhang mit akuten Atemwegsinfektionen in der Schweiz statt.
Der Workshop wurde im «World Café»-Format abgehalten. Dabei wird eine Frage oder ein Thema in kleinen Gruppen an mehreren Tischen diskutiert. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer wechseln die Tische, während ein Gastgeber sitzen bleibt, um die vorherigen Gespräche für die Neuankömmlinge zusammenzufassen. In unserem Workshop thematisierte jeder Tisch eine andere AMS-Intervention, wie in der folgenden Tabelle dargestellt:
Für jede der vier Interventionen wurden an den Tischen folgende Fragen gestellt:
  • Was gefällt Ihnen an dieser Intervention?
  • Wenn diese Intervention verbessert werden könnte, wie würde sie aussehen?
  • Wie könnte diese Intervention für das Zielpublikum besser zugänglich gemacht werden?

Zusammenfassung der Diskussionen

Die Entscheidungshilfen, die auf den Empfehlungen der Schweizerischen Gesellschaft für Infektiologie basieren, werden von den Teilnehmerinnen und Teilnehmern weitgehend geschätzt und bieten eine intuitive Schnittstelle sowohl für Ärztinnen und Ärzte als auch für Patientinnen und Patienten. Rückmeldungen aus Qualitätszirkeln und von Allgemeinmedizinerinnen und Allgemeinmedizinern haben ihre Attraktivität erhöht. Die vom BAG herausgegebenen Informationsmaterialien für Patientinnen und Patienten und für die Kommunikation mit denselben stellen einfache Informationen für Patientinnen und Patienten über die gute Praxis im Bereich der Antibiotikatherapie zur Verfügung. Die Verfügbarkeit von Informationen in mehreren Sprachen wird geschätzt. Die hohe fachliche Qualität der SGI-Richtlinien wurde gelobt. Ihre klare Struktur wird geschätzt. Die Intervention «Audit & Feedback» wurde positiv bewertet, da sie sich auf das individuelle Verhalten der Ärztinnen und Ärzte bei der Verschreibung von Antibiotika konzentriert. Es wurde die Frage nach der Zielpopulation der Intervention aufgeworfen: Betrifft sie alle Ärztinnen und Ärzte oder nur diejenigen, die viel verschreiben? Als Problem wurde die Variabilität des Patientenbestands zwischen verschiedenen Ärztinnen und Ärzten angesprochen, die einen Vergleich schwierig macht. Die Notwendigkeit, bei der Rückmeldung an die Ärztinnen und Ärzte jegliche Verurteilung zu vermeiden, wurde als entscheidend hervorgehoben.
Im Allgemeinen umfassen die Vorschläge eine bessere Klärung der Instrumente für Ärztinnen und Ärzte sowie für Patientinnen und Patienten, die Anpassung der bereitgestellten Informationen an die verschiedenen Infektionssyndrome, die Verbesserung der Online-Sichtbarkeit von Ressourcen und die Einbeziehung von Patientenrückmeldungen in Audit&Feedback-Interventionen. Darüber hinaus wird für eine effektive Umsetzung die frühzeitige Integration dieser Praktiken in die medizinische Ausbildung empfohlen.

Fazit

Der Auftakt des nationalen ASAP-Projekts bot die Möglichkeit für Austausch und Diskussionen über die Forschung und die Einführung von Interventionen zur sachgemässen Verschreibung antimikrobieller Mittel im ambulanten Bereich. Er eröffnete vielversprechende Perspektiven sowie neue Forschungs- und Entwicklungsfelder. Darüber hinaus förderte er die Motivation der Teilnehmerinnen und Teilnehmer, sich weiterhin um die Bedürfnisse der ambulant tätigen Grundversorgerinnen und Grundversorger zu bemühen.
Der World-Café-Workshop.

Zusammenfassung für die Praxis

  • 85% der Antibiotika werden in der Schweiz ambulant verschrieben.
  • Antimikrobielle Stewardship-Interventionen in der ambulanten Praxis sind bislang kaum entwickelt, während ihr stationäres Pendant schon seit Jahren existiert.
  • Mehrere Forschungsteams befassen sich derzeit auf Schweizer Ebene mit der Verschreibung antimikrobieller Mittel im ambulanten Bereich. Dabei geht es unter anderem darum, die wichtigsten Determinanten für die Verschreibung dieser Mittel zu bestimmen und wirksame Strategien zur Förderung eines angemessenen Einsatzes dieser Medikamente im ambulanten Bereich zu finden.
  • Das ASAP-Projekt ist eine Dachstruktur, die für die konkrete Umsetzung und Implementierung evidenzbasierter antimikrobieller Stewardship-Interventionen geschaffen wurde und den Austausch und die Zusammenarbeit zwischen Forscherinnen und Forschern, Fachgesellschaften, Patientinnen und Patienten sowie Bundesbehörden fördern soll.
  • Der Auftakt bot Gelegenheit zum Austausch und zur Diskussion über laufende Forschungsprojekte und über mögliche antimikrobielle Stewardship-Interventionen im ambulanten Bereich.
Geschäftsstelle KHM
Rue de l'hôpital 15
PF 592
CH-1701 Freiburg
khm[at]hin.ch
1 Federal Office of Public Health and Federal Food Safety and Veterinary Office.
Swiss Antibiotic Resistance Report 2022. Usage of Antibiotics and Occurrence of Antibiotic Resistance in Switzerland. November 2022.
2 Federal Office of Public Health and Federal Food Safety and Veterinary Office. Strategy on Antibiotic Resistance Switzerland. Bern. Editor: BBL, Vertrieb Bundespublikationen; 2015 November
3 Public Health Ontario [Internet]. Antimicrobial Stewardship in Primary Care | Public Health Ontario; [Abruf am 15. Mai 2024]. Verfügbar unter: https://www.publichealthontario.ca/en/Health-Topics/Antimicrobial-Stewardship/Primary-Care
4 Cliodna McNulty and Rebecca Owens. Antimicrobial stewardship in primary care: developing a local action plan. [PowerPoint presentation]. Public Health England Primary Care Unit. Verfügbar unter: https://www.england.nhs.uk/patientsafety/wp-content/uploads/sites/32/2015/04/04-amr-lon-target-toolkit2.pdf
5 General Practitioners Antimicrobial Stewardship Programme Study (GAPS) - School of Public Health - University of Queensland (uq.edu.au)
6 Leitlinie für Antimicrobial Stewardship (AMS) im niedergelassenen Bereich
7 Antibiotic Prescribing and Use [Internet]. Core Elements of Outpatient Antibiotic Stewardship; [Abruf am 24. Mai 2024]. Verfügbar unter:
8 Lhopitallier L, Kronenberg A, Meuwly JY, Locatelli I, Mueller Y, Senn N, et al. Procalcitonin and lung ultrasonography point-of-care testing to determine antibiotic prescription in patients with lower respiratory tract infection in primary care: pragmatic cluster randomised trial. BMJ. 21 sept 2021;n2132.
9 Aghlmandi S, Halbeisen FS, Saccilotto R, Godet P, Signorell A, Sigrist S, et al. Effect of Antibiotic Prescription Audit and Feedback on Antibiotic Prescribing in Primary Care: A Randomized Clinical Trial. JAMA Intern Med. 2023;183(3):213-20. DOI: 10.1001/jamainternmed.2022.6529
10 Plate A, Kronenberg A, Risch M, Mueller Y, Di Gangi S, Rosemann T, et al. Treatment of urinary tract infections in Swiss primary care: quality and determinants of antibiotic prescribing. BMC Fam Pract. déc 2020;21(1):125.
11 Plate A, Kronenberg A, Risch M, Mueller Y, Di Gangi S, Rosemann T, et al. Active surveillance of antibiotic resistance patterns in urinary tract infections in primary care in Switzerland. Infection. déc 2019;47(6):1027–35.
12 Web Annex. Infographics. In: The WHO AWaRe (Access, Watch, Reserve) antibiotic book. Geneva: World Health Organization; 2022 (WHO/MHP/HPS/EML/2022.02). Licence: CC BY-NC-SA 3.0 IGO.
Verdankung
Die Autorinnen und Autoren möchten sich bei Patrick Beeler, Jan Bonhoeffer, Lauren Clack, Céline Gardiol, Fabian Egli, Simon Gottwalt, François Héritier, Hubert Maisonneuve, Anne Niquille, Andreas Plate, Clara Podmore und Laurence Senn für ihre Teilnahme herzlich bedanken. Ihr aktives Engagement und ihre Ideen haben die Diskussionen bereichert und vielversprechende Perspektiven für die Fortsetzung des Projekts eröffnet.

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