Leitliniengerechte Diagnostik und Therapie von Synkopen
2018 ESC Guidelines for the diagnosis and management of syncope

Leitliniengerechte Diagnostik und Therapie von Synkopen

Fortbildung
Ausgabe
2024/06
DOI:
https://doi.org/10.4414/phc-d.2024.1150525549
Prim Hosp Care Allg Inn Med. 2024;24(06):171-177
Data Supplement
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Affiliations
Redaktor Primary and Hospital Care

Publiziert am 05.06.2024

Einleitung

Die European Society of Cardiology (ESC) hat im März 2018 nach dem Vorgängerdokument von 2009 eine neue Leitlinie zur Diagnostik und Therapie von Synkopen publiziert [1, 2]. Als integraler Teil wurden ergänzend Supplementary Data (mehrheitlich Tabellen mit Studienübersichten, [3]) und praktische Instruktionen zur Leitlinie elektronisch veröffentlicht [4]. Für eine ausführliche Darstellung verweisen wir auf die Leitlinien [2]. Im Folgenden sollen im Rahmen der Artikelserie zu für Praxis und Klinik relevanten Leitlinien die wichtigsten Inhalte der «2018 ESC Guidelines for the diagnosis and management of syncope» dargestellt werden.

Definition

«Synkope» ist definiert als ein vorübergehender, nicht traumatischer echter oder scheinbarer Bewusstseinsverlust (Transient Loss Of Consciousness = TLOC) infolge einer zerebralen Hypoperfusion, der gekennzeichnet ist durch rasches Einsetzen, Amnesie für die Dauer der Bewusstlosigkeit, motorische Erscheinungen, Verlust der Ansprechbarkeit, kurze Dauer und eine spontane, vollständige Erholung. Abzugrenzen ist die Synkope von anderen Erkrankungen, die sich mit gleicher Symptomatik manifestieren können, wie zum Beispiel epileptischen Anfällen, psychogenen Pseudosynkopen oder psychogenen Anfällen. Auch die selteneren TLOC-Ursachen wie zum Beispiel das Subclavian-Steel-Syndrom, die vertebrobasiläre transiente ischämische Attacke (TIA) oder die Subarachnoidalblutung (SAB) sind abzugrenzen, um nur einige zu nennen.

Klassifikation und Pathophysiologie

Die aktuelle Klassifikation in eine (nerval vermittelte) Reflexsynkope, Synkope durch orthostatische Hypotonie und kardiale Synkope ist in Tabelle 1 dargestellt. Pathophysiologisch liegt der Synkope ein Abfall des systemischen Blutdrucks mit Rückgang des zerebralen Blutflusses zugrunde. Dessen Unterbrechung für nur wenige Sekunden bzw. ein systolischer Blutdruck von 50–60 mm Hg auf Herzhöhe (entsprechend 30–45 mm Hg auf Höhe des Gehirns bei aufrechter Körperposition) kann zu einem TLOC führen. Der Reflexsynkope liegen als pathophysiologische Mechanismen entweder eine Vasodepression oder eine Kardioinhibition zugrunde. Vasodepression bezieht sich auf eine Hypotonie durch unzureichende sympathische Vasokonstriktion und Kardioinhibition auf eine Bradykardie oder Asystolie als Ausdruck einer Dominanz des Parasympathikus. Die hämodynamischen Veränderungen selbst sind unabhängig vom auslösenden Trigger.

Abklärung und Risikostratifikation

Initiale Abklärung

Die initiale Abklärung bei Verdacht auf Synkope sollte die folgenden vier Fragen beantworten:
  • Lag beim aktuellen Ereignis ein TLOC vor?
  • Wenn ja, war der TLOC synkopalen oder nicht-synkopalen Ursprungs?
  • Bei Verdacht auf Synkope, gibt es eine klare ätiologische Diagnose?
  • Gibt es Anhaltspunkte für ein hohes Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse oder Tod?
Ein TLOC ist wahrscheinlich, wenn Symptome und klinische Zeichen vorliegen, welche spezifisch für eine Reflexsynkope, eine Synkope aufgrund orthostatischer Hypotonie oder eine kardiale Synkope sind und gleichzeitig Symptome und klinische Zeichen für andere Formen des TLOC fehlen. Die initiale Abklärung sollte eine sorgfältige Anamnese hinsichtlich der aktuellen und gegebenenfalls früherer Episoden, falls möglich einschliesslich Fremdanamnese, eine körperliche Untersuchung mit Blutdruckmessung im Liegen und Stehen und ein EKG beinhalten. Abhängig von den Ergebnissen der initialen Abklärung und der Risikostratifizierung sollten Labor- und zusätzliche apparative Untersuchungen (EKG-Monitoring, Echokardiografie, Karotissinus-Massage, Kipptisch-Untersuchung, elektrophysiologische Untersuchung, Koronarangiografie, etc.) angeschlossen werden (siehe figure 4 unter https://www.escardio.org/Guidelines/Clinical-Practice-Guidelines/Syncope-Guidelines-on-Diagnosis-and-Management-of für die initialen Abklärungsschritte).
Empfehlungen zu den diagnostischen Kriterien sind in Tabelle 2 zusammengefasst. Ist die Diagnose nach initialer Abklärung nahezu sicher oder zumindest sehr wahrscheinlich, sind keine weiteren Abklärungen notwendig. In den übrigen Fällen können die in Tabelle 3 aufgeführten Merkmale hilfreich und richtungsweisend sein.

Management auf der Notfallstation gemäss Risikostratifizierung

Das initiale Management eines TLOC mutmasslich synkopaler Natur auf der Notfallstation sollte auf die Beantwortung der folgenden Fragen fokussiert sein:
  • Liegt eine schwerwiegende Grunderkrankung vor?
  • Wie hoch ist das Risiko schwerwiegender Konsequenzen?
  • Sollte der Patient stationär aufgenommen werden?
Das Vorgehen ist in auf https://www.escardio.org/Guidelines/Clinical-Practice-Guidelines/Syncope-Guidelines-on-Diagnosis-and-Management-of unter den Abbildungen figure 5 und 6 zusammengefasst. Bei Hinweisen auf eine schwere Grunderkrankung als Ursache der Synkope sollte die weitere Abklärung und Therapie nach den spezifischen Leitlinien erfolgen. Bei sicherer Diagnose nach Anamnese und körperlicher Untersuchung wird entsprechend therapiert. Bei den übrigen Patientinnen und Patienten ist eine weitere Risikostratifizierung anhand der Kriterien in Tabelle 4 empfohlen. Die Autor/innen der Leitlinie stellen fest, dass Scores für die Stratifizierung des Risikos für schwerwiegende Ereignisse bzw. Mortalität (zum Beispiel San Francisco Syncope Rule, OESIL Score, EGSYS Score, u.a.) der klinischen Einschätzung nicht überlegen sind.
Bei niedrigem Risiko sind keine weiteren diagnostischen Tests in der Notfallstation erforderlich. Es liegt wahrscheinlich eine Reflex-, bzw. situativ bedingte oder eine orthostatische Synkope vor. Diese Patientinnen und Patienten können beruhigt und nach entsprechender Beratung in der Regel nach Hause entlassen werden.
Bei hohem Risiko sollte ein EKG-Monitoring (Empfehlung zur Überwachungsdauer auf der Notfallstation: 6 Stunden; im Spital: bis zu 24 Stunden) und eine rasche weitere Abklärung ggf. Therapie angestrebt werden.
Alle übrigen Patientinnen und Patienten sollten überwacht und baldmöglichst durch einen Synkopen-Spezialisten beurteilt werden. Die spezielle Beurteilung ist zumeist ambulant möglich.

Soll der Patient stationär aufgenommen werden?

Zwar müssen diese Hochrisiko-Patientinnen und Patienten unbedingt identifiziert werden, um eine frühzeitige, schnelle und intensive Untersuchung zu gewährleisten, doch nicht alle Hochrisiko-Patientinnen und Patienten müssen stationär aufgenommen werden. In Tabelle 5 sind die Patientengruppen zusammengefasst, für die eine Hospitalisation empfohlen wird.

Vorgehen bei unklarer Diagnose nach initialer Abklärung

Wenn bei der initialen Abklärung keine sichere oder sehr wahrscheinliche Diagnose identifiziert werden konnte, empfehlen die Leitlinien ein weiteres diagnostisches Vorgehen entsprechend Abbildung 3.
Abbildung 1: Diagnostisches Vorgehen bei unsicherer Diagnose in der initialen Abklärung.

Diagnostische Tests

Im Folgenden sind die Indikationen und die diagnostische Wertigkeit der wesentlichen Tests, welche bei der Synkopenabklärung eingesetzt werden und auch an nicht-spezialisierten Abteilungen in der Regel durchführbar sind, kurz erwähnt. Für eine ausführliche Darstellung verweisen wir auf die Leitlinien sowie die praktischen Instruktionen zu den Leitlinien [4].

Ruhe-EKG und EKG-Monitoring

Indikationen

Das Ruhe-EKG ist Teil der initialen Abklärung bei Patientinnen und Patienten mit Synkope. Bei Hochrisiko-Patientinnen und Patienten ist ein sofortiges EKG-Monitoring mittels Monitorbett oder Telemetrie indiziert. Ein Langzeit-EKG sollte bei Patientinnen und Patienten mit häufigeren Synkopen oder Präsynkopen (≥1 Episode pro Woche) erwogen werden, ein externer Loop-Rekorder früh nach dem Indexereignis mit symptomfreiem Intervall ≤4 Wochen.
Die europäische Leitlinie betont die Bedeutung des implantierbaren Loop-Rekorders (ILR) zur effektiven und zeitnahen Ursachenklärung von Synkopen:
  • ILR sind indiziert bei Patientinnen und Patienten mit rezidivierenden Synkopen unklarer Genese, bei denen trotz ausführlicher Abklärung keine Ursache gefunden wurde, keine Hochrisikokriterien vorliegen und die Wahrscheinlichkeit eines Rezidivs während der Batterielebensdauer des ILR hoch ist.
  • ILR sind indiziert bei Patientinnen und Patienten mit Hochrisikokriterien, bei denen jedoch keine konventionellen Schrittmacher- bzw. primärpräventiven ICD-Indikationen vorliegen.
  • Ein ILR kann auch bei Patientinnen und Patienten mit vermuteter oder sicherer Reflexsynkope mit häufigen oder schweren synkopalen Episoden, bei Verdacht auf Epilepsie und unwirksamer Therapie und bei Patientinnen und Patienten mit ungeklärten Stürzen erwogen werden.

Diagnostische Kriterien

Eine arrhythmogene Synkope gilt als bestätigt, wenn eine Korrelation zwischen der Synkope und einer Arrhythmie (Bradyarrhythmie oder Tachyarrhythmie) besteht. Sie kann vermutet werden, wenn Perioden eines AV-Blocks II° (Mobitz 2), AV-Blocks III°, ventrikuläre Pausen >3 Sekunden (mit Ausnahme von jungen trainierten Menschen, während des Schlafs oder bei frequenzkontrolliertem Vorhofflimmern) oder schnelle, anhaltende paroxysmale SVT oder VT dokumentiert wurden. Das Fehlen einer dokumentierten Arrhythmie bei Präsynkope kann nicht als Surrogat für eine Synkope angesehen werden, wohingegen die Dokumentation einer signifikanten Arrhythmie während einer Präsynkope diagnostisch aussagekräftig ist. Das Fehlen einer Arrhythmie während einer Synkope ist ein Ausschlusskriterium für eine arrhythmogene Genese.

Aktives Stehen

Indikationen

Im Rahmen der initialen Synkopenabklärung sollten Blutdruck und Herzfrequenz im Liegen und während aktiven Stehens über drei Minuten gemessen werden. Bei vermuteten kurzdauernden Blutdruckschwankungen, zum Beispiel bei OH, sollte eine kontinuierliche, nicht-invasive Schlag-zu-Schlag-Blutdruck- und Herzfrequenz-Messung verwendet werden.

Diagnostische Kriterien

Eine Synkope wegen OH gilt als diagnostiziert, wenn bei Lagewechsel ein Abfall des systolischen Blutdrucks ≥20 mm Hg bzw. des diastolischen Blutdrucks ≥10 mm Hg vom Ausgangswert oder ein Abfall des systolischen Blutdrucks auf <90 mm Hg eintritt und dabei spontane Symptome auftreten.
Sie ist als wahrscheinlich anzusehen, wenn die anamnestisch erhobenen Symptome, zumindest teilweise, für eine OH sprechen und bei der Testung die oben genannten Blutdruckveränderungen auftreten.
Ein posturales orthostatisches Tachykardie-Syndrom (POTS) gilt als wahrscheinlich, wenn ein orthostatischer Herzfrequenz-Anstieg (>30/min oder >120/min während 10 Minuten aktiven Stehens) ohne OH-typische Symptome beobachtet wird.

Untersuchung der autonomen Funktion

Hier sind das Valsalva-Manöver, die «vertiefte Atmung» und die 24-Stunden-Blutdruckmessung (ambulante Langzeitblutdruckmessung, ABPM) zu nennen.

Indikationen

Das Valsalva-Manöver, die «vertiefte» Atmung und andere autonome Funktionstests wie beispielsweise der Cold-Pressure-Test, Handgrip-Test oder Kopfrechen-Test können zur Beurteilung der autonomen Funktion bei Patientinnen und Patienten mit vermuteter neurogener OH herangezogen werden. Besonders mit dem Valsalva-Manöver kann die mit bestimmten Formen der situativ bedingten Reflexsynkope assoziierte Hypotonie-Neigung (zum Beispiel bei Husten, Spielen eines Blasinstruments, Singen, Gewichtheben) bestätigt werden.
Die 24-Stunden-Blutdruckmessung wird für die Erkennung nächtlicher Hypertonien bei Patientinnen und Patienten mit autonomer Dysfunktion empfohlen. Sie kann auch zur Erkennung und Überwachung von im Alltag auftretender OH und Liegendhypertonie bei Patientinnen und Patienten mit autonomer Dysfunktion sowie zur Erkennung von Episoden mit ungewöhnlich niedrigem Blutdruck, die auf eine orthostatische Intoleranz hinweisen, eingesetzt werden.

Echokardiografie, CT und MRT

Indikationen

Eine Echokardiografie ist angezeigt für die Diagnostik und Risikostratifizierung bei Patientinnen und Patienten mit Verdacht auf eine strukturelle Herzerkrankung. Eine Synkope per se ist keine Indikation für eine Echokardiografie. Die Stressechokardiografie mit Doppler während Belastung im Stehen, Sitzen oder in Halbrückenlage kann zum Nachweis einer provozierbaren Obstruktion des linksventrikularen Ausflusstrakts bei Patientinnen und Patienten mit hypertropher Kardiomyopathie, Synkope in der Vorgeschichte und einem instantanen Peak-LVOT-Gradienten <50 mm Hg in Ruhe oder unter Provokation eingesetzt werden. Die Computertomografie oder Magnetresonanztomografie sollte bei Patientinnen und Patienten mit Synkope und Verdacht auf strukturelle Herzerkrankung erwogen werden, wenn die Echokardiografie keine Diagnose liefert.

Diagnostische Kriterien

Bei Nachweis einer Aortenstenose, obstruktiver Herztumoren oder Thromben, einer Perikardtamponade oder einer Aortendissektion kann dies als eine wahrscheinliche Synkopenursache gewertet werden.

Ergometrie

Indikationen

Bislang existieren keine Daten, die eine routinemässige Ergometrie bei Patientinnen und Patienten mit Synkope unterstützen würden. Sie kann jedoch indiziert sein bei Synkopen während oder kurz nach körperlicher Belastung.

Diagnostische Kriterien

Eine Synkope durch AV-Block II° oder III° gilt als bestätigt, wenn sich der AV-Block unter Belastung entwickelt, auch wenn keine Synkope auftritt. Eine Reflexsynkope ist bestätigt, wenn die Synkope sofort nach der Belastung bei gleichzeitig schwerer Hypotonie reproduziert werden kann.

Weitere diagnostische Verfahren

Weiterführende diagnostische Verfahren werden in der Regel nur bei entsprechender Anamnese und Ergebnissen der klinischen Untersuchung durchgeführt. Diese beinhalten Verfahren wie die Karotissinus-Massage (CSM), die Kipptisch-Untersuchung mit und ohne EEG bzw. Video-Monitoring, die elektrophysiologische Untersuchung und die Koronarangiografie. Diese Verfahren setzen neben einer entsprechenden technischen Ausstattung, die in der Regel nur in spezialisierten Fachabteilungen an Kliniken vorgehalten wird, auch eine spezielle Expertise in Bezug auf Durchführung, Auswertung und Beurteilung der Ergebnisse voraus. Hierzu verweisen wir direkt auf den Leitlinientext.

Therapieprinzipien

Die Behandlung der Synkope sollte sich nach Möglichkeit auf die Ergebnisse der Risikostratifizierung und die Identifizierung von spezifischen Mechanismen stützen. Die Wirksamkeit der Prävention von Rezidiven hängt dabei in erster Linie vom Synkopenmechanismus ab, weniger von der Ätiologie. Bei Herzrhythmusstörungen als Auslöser einer kardialen Synkope steht deren Therapie im Vordergrund. Gleiches gilt bei strukturellen kardialen oder kardiopulmonalen Erkrankungen. Bei ungeklärter Diagnose oder hohem Risiko für einen plötzlichen Herztod (zum Beispiel bei dilatativer oder hypertropher Kardiomyopathie, arrhythmogener rechtsventrikulärer Kardiomyopathie, Brugada-Syndrom) muss die Indikation für eine ICD-Implantation sorgfältig geprüft und diskutiert werden.
Im Folgenden werden die Therapieansätze der Reflexsynkope sowie der Synkope bei orthostatischer Intoleranz insoweit dargestellt, wie sie in der Regel allgemeinmedizinisch bzw. internistisch überwacht und verantwortet werden (siehe https://www.escardio.org/Guidelines/Clinical-Practice-Guidelines/Syncope-Guidelines-on-Diagnosis-and-Management-of Abbildungen figure 9 und 12). Für die detaillierte Darstellung spezieller Therapien wird auf die Leitlinie verwiesen.

Reflexsynkope

Die Wahl der Therapie orientiert sich an den – sich häufig überlappenden – Phänotypen für «niedrigen Blutdruck» bzw. «dominante Kardioinhibition»:
  • Beim Phänotyp «niedriger Blutdruck» handelt es sich um Patientinnen und Patienten mit chronisch niedrigen Blutdruckwerten, im Allgemeinen systolisch um 110 mm Hg, klarer orthostatischer Intoleranz und orthostatischer vasovagaler Synkopen (VVS) in der Vorgeschichte.
  • Beim Phänotyp «dominante Kardioinhibition» handelt es sich um Patient/innen, bei denen klinische Merkmale und Untersuchungsergebnisse auf plötzliche Kardioinhibition, zum Beispiel Fehlen von Prodromi, als Hauptursache der Synkope hinweisen.
Basis des Managements dieser Patientinnen und Patienten ist eine nicht-pharmakologische Therapie bestehend aus Aufklärung, Lebensstiländerung, Beruhigung und Besprechung der benignen Natur der Erkrankung. Bei Hypotonieneigung kann eine Anpassung bzw. das Absetzen blutdrucksenkender Medikamente mit einem systolischen Zielwert von 140 mm Hg bei Patientinnen und Patienten mit vasodepressorischer Synkope das Wiederauftreten von Synkopen verringern. Isometrische Gegenregulationsmanöver sollten bei unter 60-Jährigen mit Prodromi in Betracht gezogen werden, wobei ein Kipptisch-Training für die Schulung der Manöver herangezogen werden kann. Medikamentös kann bei jungen Patientinnen und Patienten mit orthostatischer Form von VVS, niedrig-normalen arteriellen Blutdruckwerten und fehlender Kontraindikation der Einsatz von Fludrocortison (Startdosis 0,05 mg/Tag, Auftitration auf 0,2 mg/Tag nach Symptomatik) oder Midodrin (2,5–10 mg 3×/Tag) versucht werden. Leider verhindert keine Therapie ein Wiederauftreten von Synkopen auf lange Sicht vollständig.
Eine Schrittmachertherapie kann indiziert sein, wenn eine Asystolie ein dominantes Merkmal der Reflexsynkope ist und ein Zusammenhang zwischen Symptomen und Bradykardie besteht. Dass sie wirksam ist, heisst jedoch nicht, dass sie auch immer notwendig ist. Darum sollte eine Entscheidung zur Implantation eines Herzschrittmachers gerade bei jungen Patientinnen und Patienten im klinischen Kontext einer prinzipiell benignen Erkrankung sehr sorgfältig getroffen werden und auf Patientinnen und Patienten mit schwerer Reflexsynkope beschränkt bleiben.

Orthostatische Hypotonie

Grundlegende Massnahmen beinhalten eine adäquate Flüssigkeits- und Salzzufuhr. Normotensive Patientinnen und Patienten sollten die Einnahme von 2–3 Liter Flüssigkeit pro Tag und 10 Gramm Natriumchlorid anstreben. Bei Personen mit etablierter OH und Risikofaktoren für Stürze sollte als Therapieziel ein systolischer Blutdruckwert von 140–150 mm Hg angestrebt werden. Als antihypertensive Therapie sind ACE-Hemmer, Angiotensin-Rezeptor- und Kalziumkanal-Blocker bevorzugt einzusetzen, insbesondere bei Patientinnen und Patienten mit hohem Risiko für Stürze. Diuretika und Betablocker sind bei OH weniger geeignet, da diese Substanzen mit OH und Stürzen assoziiert sind und daher bei gefährdeten Personen vermieden werden sollten. Gegebenenfalls muss eine antihypertensive Therapie auch versuchsweise abgesetzt werden. Isometrische Gegenregulationsmanöver, eine abdominelle Kompression und/oder das Tragen von Stützstrümpfen sollten zur Reduktion des venösen Blut-Poolings ebenso in Betracht gezogen werden. Schlafen mit leicht erhöhtem Oberkörper (>10 Grad) kann zur Erhöhung des Flüssigkeitsvolumens beitragen. Bei anhaltenden Symptomen kann Fludrocortison (0,1–0,3 mg/Tag) oder Midodrin (2,5–10 mg, 3×/Tag) versucht werden.

Besonderheiten bei älteren Patientinnen und Patienten

Insbesondere bei älteren Patientinnen und Patienten wird eine multifaktorielle Beurteilung und Intervention empfohlen, da häufig mehrere Gründe für Synkopen – und ungeklärte Stürze – vorliegen können. Diese sollte eine Analyse der kognitiven und körperlichen Leistungsfähigkeit einschliessen.
Generell sollten bei älteren Patientinnen und Patienten mit ungeklärtem Sturz die gleichen Abklärungen durchgeführt werden wie bei Patientinnen und Patienten mit ungeklärter Synkope. Bei gebrechlichen älteren Patientinnen und Patienten ist die Intensität der Abklärung von deren Compliance bezüglich der Untersuchungen und natürlich der Prognose abhängig zu machen. Bei mobilen, nicht gebrechlichen älteren Menschen mit normaler Kognition unterscheidet sich das Prozedere aber nicht von dem bei jüngeren Personen. Orthostatische Blutdruckmessungen, CSM und Kipptisch-Untersuchung werden auch von gebrechlichen älteren Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung gut toleriert.
Nicht selten verneinen Patientinnen und Patienten nach ungeklärten Stürzen einen TLOC, obwohl sich in den Abklärungen eine Synkope reproduzieren liess. Ohne Augenzeugen kann die Differenzialdiagnose zwischen Stürzen, Epilepsie, TIA und Synkope schwierig sein.
Die Anpassung der Dosis oder sogar ein Absetzen möglicher Synkopen-auslösender Medikamente – hier sind insbesondere blutdrucksenkende und psychotrope Substanzen zu nennen – sollte gerade bei älteren Patientinnen und Patienten immer geprüft werden.
Prof. Dr. med. Thomas Dieterle, MHBA
dieterlet[at]googlemail.com
1 Moya A, Sutton R, Ammirati F, Blanc JJ, Brignole M, et al. Guidelines for the diagnosis and management of syncope (version 2009). Eur Heart J 2009; 30:2631-2671. doi: 10.1093/eurheartj/ehp298.
2 Brignole M, Moya A, de Lange FJ, Deharo J-C, Elliott PM, et al. 2018 ESC Guidelines for the diagnosis and management of syncope. Eur Heart J 2018; 39:1883-1948. doi: 10.1093/eurheartj/ehy037
3 Oxford University Press [Internet]. 2018 ESC Guidelines for the diagnosis and management of syncope [cited 2022 Jan 06]. Available from: https://academic.oup.com/eurheartj/article-lookup/doi/10.1093/eurheartj/ehy037#supplementary-data
4 ESC European Society of Cardiology [Internet]. ESC Pocket Guidelines App [cited 2022 Jan 06]. Available from: https://www.escardio.org/Guidelines/Clinical-Practice-Guidelines/Guidelines-derivative-products/ESC-Mobile-Pocket-Guidelines
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