Ein Projekt von QualiCCare

Opti-Q Multimorbidität – ein möglicher Lösungsansatz zur Behandlung

Aktuelles
Ausgabe
2022/11
DOI:
https://doi.org/10.4414/phc-d.2022.10583
Prim Hosp Care Allg Inn Med. 2022;22(11):325-327

Affiliations
Geschäftsführerin Verein QualiCCare

Publiziert am 02.11.2022

Hausärzte und Hausärztinnen sehen sich mit einer immer grösseren Zahl an Patienten und Patientinnen konfrontiert, die mehrere chronischen Krankheiten gleichzeitig haben. Die demographischen Entwicklungen in der Schweiz und global deuten auf einen stetigen weiteren Anstieg hin. So kommen neben dem immer ausgeprägter werdenden Fachkräftemangel in der Grundversorgung die Diversität der Krankheitskombinationen der Patienten und Patientinnen als Herausforderung dazu.

Hausärzte und Hausärztinnen sehen sich mit einer immer grösseren Zahl an Patienten und Patientinnen konfrontiert, die mehrere chronische Krankheiten gleichzeitig haben. Die demographischen Entwicklungen in der Schweiz und global deuten auf einen stetigen weiteren Anstieg hin. So kommen neben dem immer ausgeprägter werdenden Fachkräftemangel in der Grundversorgung die Diversität der Krankheitskombinationen der Patienten und Patientinnen als Herausforderung dazu. Krankheitsspezifische Guidelines und Praxisempfehlungen sind hierbei schlecht anwendbar. Im Primary and Hospital Care beleuchtete Marti im Jahr 2018 die Belastungen der Behandlung aus Sicht des Geriaters und begrüsste es, dass im Ausland einige nationale Fachgesellschaften und Institute Empfehlungen oder Guidelines zur Multimorbidität schufen. Allen gemeinsam war, dass sie als Lösungsansatz den Einbezug der Prioritäten und Ziele der Patienten und Patientinnen in den Behandlungsplan sahen. Auch Marti plädierte für eine patientenzentrierte, ganzheitliche Behandlung von Menschen mit mehreren chronischen Erkrankungen [1].

Schweizer Praxisempfehlungen zur Multimorbidität

Der interprofessionelle Non-Profit-Verein QualiCCare mit 24 Mitgliedorganisationen entlang des Versorgungspfades von chronisch kranken Patientinnen und Patienten hat sich dieser Problematik angenommen.
Basierend auf den schon von Marti [1] erwähnten ausländischen Empfehlungen und Guidelines erarbeitete im Kanton Waadt eine interprofessionelle Arbeitsgruppe unter der Leitung des Instituts für Präventiv- und Sozialmedizin Lausanne (heute: unisanté) für die Schweiz die Praxisempfehlungen Multimorbidität [2,3] in einem systematischen Guideline-Adaptationsprozess.
Die Behandlung umfasst sechs Schritte, welche in Abbildung 1 schematisch darstellt werden. Dabei liegt der Fokus insbesondere auf der interprofessionellen Zusammenarbeit und dem Einbezug des Patienten bzw. der Patientin und derer Prioritäten in die Behandlung [4].
Abbildung 1: Schema Praxisempfehlungen Multimorbidität [2, 3], übersetzt aus dem Französischen durch QualiCCare (Original: www.recodiab.ch/RPC_multimorbidite_20190411.pdf ).

Anwendungshilfen zur Umsetzung in der Praxis

Guidelines und Praxisempfehlungen sollten einfach in den Praxisalltag integrierbar sein und einen Mehrwert für Leistungserbringer sowie Patientinnen und Patienten bringen. Dieses Ziel verfolgt QualiCCare mit dem Projekt Opti-Q Multimorbidität. Eine breit abgestützte Begleitgruppe bestehend aus ärztlichen und nicht-ärztlichen Fachpersonen, Patientinnen und Patienten sowie Angehörigen hat für die Umsetzung folgende praktische Anwendungshilfen entwickelt:
Ein Versorgungspass in Papierform, welcher stets in den Händen des Patienten bzw. der Patientin ist und zu jeder Konsultation in der Arztpraxis, in der Apotheke oder bei der Therapie mitgenommen und genutzt wird. Es stellt ein zentrales Kommunikationsmittel unter den Fachpersonen dar und enthält alle wichtigen Informationen für eine optimale, interprofessionelle und koordinierte Behandlung. Darin notieren die Patienten bzw. die Patientinnen ihre Lebens- und Gesundheitsziele, ihre Ressourcen sowie ihr Versorgungsteam. Von einer Fachperson werden unter anderem die aktuelle Diagnoseliste, der Behandlungs- sowie der Medikationsplan ergänzt. Dadurch, dass der Patient bzw. die Patientin den Versorgungspass in den Händen hat, können auch Eigenverantwortung und Gesundheitskompetenz der Patientinnen und Patienten gestärkt werden.
Für die Erstellung eines umfassenden Behandlungsplans braucht es ein ganzheitliches Assessment für eine strukturierte Standortbestimmung des Patienten oder der Patientin. Ein entsprechender Fragebogen in Form einer Checkliste wurde aufgrund von verschiedenen validierten Fragebögen erstellt und sollte einmal jährlich mit den Patientinnen und Patienten besprochen werden. Ob dies durch eine Fachperson in der Hausarztpraxis oder durch externe Fachpersonen gemacht wird, sollte vorrangig im Behandlungsteam festgelegt werden. Unter Berücksichtigung der Antworten im Assessment bespricht und entscheidet der Hausarzt bzw. die Hausärztin mit dem Patienten bzw. der Patientin den Behandlungsplan. Um der Polypharmazie gerecht zu werden, braucht es eine aktualisierte Medikationsliste, welche allen Fachpersonen zur Verfügung steht. Des Weiteren werden mögliche Schwierigkeiten mit der Medikation in einer Checkliste systematisch erfasst und pharmazeutische Empfehlungen zur Problemlösung abgegeben. Auch diese Aufgabe sollte ebenfalls vorrangig im Behandlungsteam festgelegt werden. Prädestiniert dafür wäre dank seiner bzw. ihrer Ausbildung ein Apotheker oder eine Apothekerin, doch wenn keine Zusammenarbeit zwischen Arzt und Apotheker möglich ist, müsste diese Aufgaben eine andere geeignete Fachperson übernehmen.
Zusätzlich zu den Anwendungshilfen wird den Teilnehmern des Projekts eine SIWF- und SGAIM-akkreditierte interprofessionelle Fortbildung des Vereins SwissIPE (www.swissipe.ch) offeriert, bestehend aus einem Basistag und zwei Follow-ups im Umfang von einer Stunde online sowie drei Stunden vor Ort, im Abstand von jeweils 2–3 Monaten.

Projektziele

Ziel des Projekts ist, zu prüfen, ob die Praxisempfehlungen in der Praxis anwendbar sind. Die sechs Schritte der Praxisempfehlungen werden mit den Anwendungshilfen abgedeckt. Auch sind die SGAIM-Qualitätsindikatoren [5] für den ambulanten Bereich in den Praxisempfehlungen inkludiert, was für Bestrebungen im Qualitätsverbesserungsprozess genutzt werden kann.
Aufgrund der Projektresultate werden neben der Anpassung der Praxisempfehlungen noch Empfehlungen zu einem Finanzierungsmodell formuliert, sowie zu IT-Hilfsmitteln.

Projektfinanzierung und Evaluation

Das von der Stiftung Gesundheitsförderung Schweiz im Rahmen des Fonds zur Prävention in der Gesundheitsversorgung finanzierte Projekt wird extern von Interface qualitativ evaluiert. Dazu beantworten die teilnehmenden Fachpersonen und Patientinnen und Patienten jeweils zu Beginn und nach Abschluss der 12-monatigen Umsetzungsphase einen Online-Fragebogen, wobei letztere auch den Fragebogen auf Papier beantworten können. Zusätzlich werden einige Fachpersonen seitens Interface für vertiefende Interviews und einzelne Fallbeobachtungen angefragt.

Hausarztpraxen für Projektteilnahme gesucht

Möchten Sie mit Ihrer Praxis und einigen Ihrer multimorbiden Patientinnen und Patienten die Anwendungshilfen und Praxisempfehlungen testen, zu einer besseren Koordination in der Versorgung beitragen, Ihre Prozesse in der Praxis effizienter machen und Ihre Ressourcen kompetenzspezifischer einsetzen? Die Umsetzung in der Praxis ist während 12 Monaten vorgesehen und kann flexibel ab Ende 2022 bis April 2023 gestartet werden.
Weitere Auskünfte
Caroline Krzywicki, Projektleiterin
Verein QualiCCare
Rütistrasse 3A
CH-5400 Baden
krzywicki[at]qualiccare.ch

Drei Fragen an Dr. med. Marc Müller, Past President von Haus- und Kinderärzte Schweiz (mfe)

Dr. med. Marc Müller vertritt den Verband und somit die Schweizer Hausärzte und Hausärztinnen im Vorstand von QualiCCare sowie in der Steuer- und Begleitgruppe des Projekts Opti-Q Multimorbidität.
1. Inwiefern ist das Opti-Q-Projekt innovativ und kann dazu beitragen, die Behandlung von multimorbiden Patientinnen und Patienten in der Grundversorgung zu optimieren?
MM: Das Projekt gibt uns einen Leitfaden, um die Betreuung der multimorbiden Patientinnen und Patienten wirklich auf verschiedene Schultern zu verteilen, indem jede Gesundheitsfachperson das beitragen kann, was sie am besten beherrscht!
2. Welche Vorteile haben Hausärzte und Hausärztinnen, wenn sie am Projekt teilnehmen?
MM: Wir denken immer, wir würden bereits interprofessionell arbeiten. In diesem Projekt haben wir die Gelegenheit, die interprofessionelle Zusammenarbeit in all ihren Facetten zu erlernen und zu erleben. Ein echtes Team entsteht, in welchem die Patientin oder der Patient ein wichtiger Bestandteil ist und ihre bzw. seine Betreuung mitbestimmt.
3. Die Teilnahme am Projekt könnte auf den ersten Blick als ein grosser Aufwand erscheinen. Was würden Sie also Hausärzten und Hausärztinnen sagen, die am Thema des Projekts interessiert sind und sich Sorgen machen, dass sie nicht genügend Zeit und Ressourcen haben, um am Projekt teilzunehmen?
MM: Jeder Lernprozess benötigt zunächst Ressourcen, erinnern wir uns an die Einführung unserer elektronischen Krankengeschichten. Natürlich wäre es schön, wenn alle Unterlagen schon elektronisch vorliegen würden, aber genau dazu benötigen wir die Mitarbeit der Teilnehmenden. Ausserdem: Ein Assessment gehört bei Multimorbiden sowieso dazu! Und als Gegenleistung winkt die Fortbildung in interprofessioneller Patientenbetreuung. Und interprofessionell heisst ja auch, dass die Belastung auf verschiedene Schultern verteilt werden kann!
Sandra Hügli-Jost
Kommunikationsbeauftragte
mfe Haus- und Kinderärzte Schweiz
Geschäftsstelle
Effingerstrasse 2
CH-3011 Bern
Sandra.Huegli[at]hausaerzteschweiz.ch
1 Marti F. Multimorbidität erfordert einen patientenzentrierten Ansatz. Multimorbidität aus der Sicht des Geriaters. Primary and Hospital Care [Internet]. 2018 [cited 2022 Jun 3];18(6):105–6. Available from: www.primary-hospital-care.ch.
2 Arditi C, Burnand B, Hagon-Traub I, Bridevaux IP. Affections chroniques multiples: Prise en charge multidisciplinaire de la multimorbidité: recommandations pour la pratique clinique. Rev Med Suisse. 2019 Sep 18;15(663):1679–80.
3 Arditi Chantal, Burnand Bernard, Peytremann Bridevaux Isabelle. Recommandations pour la pratique clinique [Internet]. 2019 [cited 2022 Jan 27]. Available from: https://www.recodiab.ch/RPC_multimorbidite.pdf
4 ADAPTE Collaboration 2009. Guideline Adaptation: A Resource Toolkit [Internet]. 2010 [cited 2022 Oct 5]. Available from: https://g-i-n.net/wp-content/uploads/2021/03/ADAPTE-Resource-toolkit-March-2010.pdf
5 Wertli M, Djalali SN, Savigny BZ, Rohrbasserd A, Lehmann J, Jungi MM, et al. Qualitätsindikatoren im ambulanten Bereich. Schweizerische Ärztezeitung 2021 102:47 [Internet]. 2021 Nov 24 [cited 2022 Oct 5];102(47):1565–8. Available from: https://saez.ch/article/doi/saez.2021.20289.

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