Entspannung in der Gruppe
Skill-Training Folge 11

Entspannung in der Gruppe

Arbeitsalltag
Ausgabe
2020/12
DOI:
https://doi.org/10.4414/phc-d.2020.10231
Prim Hosp Care Allg Inn Med. 2020;20(12):391-392

Affiliations
Facharzt für Allgemeine Innere Medizin FMH, spez. Psychosomatische Medizin SAPPM, Senior Editor PHC

Publiziert am 01.12.2020

Wären Sie interessiert an einer Gruppe teilzunehmen, in der Sie mit etwa fünf bis sechs weiteren Patientinnen und Patienten über Angst-, Schlaf- und Stressprobleme angehen und eine Entspannungstechnik erlernen würden?

Skill-Trainings

In der Skill-Training-Reihe von Primary and Hospital Care möchten wir einfache Kommunikationshilfen für den Alltag vorstellen, die jedem Hausarzt, jeder Hausärztin in der Sprechstunde helfen, die psychosomatisch-psychosoziale Achse näher zu verfolgen. Feedbacks und Fragen zu dieser Serie sind willk­ommen in der Kommentarfunktion unterhalb des Textes in der Online-Version des Artikels auf primary-hospital-­care.ch.
2014 wurde bereits eine erste Serie des Skill-Trainings publiziert. Sie finden sie im Archiv (primary-hospital-care.ch/archiv), indem Sie in der Volltext­suche den ­Namen des Autors ­Pierre Loeb und «skill» eingeben.

Die Intervention

«Wären Sie interessiert an einer Gruppe teilzunehmen, in der Sie mit etwa fünf bis sechs weiteren Patientinnen und Patienten Angst-, Schlaf- und Stressprobleme angehen und eine Entspannungstechnik [1] erlernen würden? Die sechs circa anderthalbstündigen Sitzungen finden wöchentlich statt – mit Ausnahme der Schulferien. Diese Gruppentherapie kann über die Krankenkasse abgerechnet werden.»

Die Indikation

Funktionelle Störungen und Erschöpfungszustände sind in der Hausarztmedizin enorm häufig. Natürlich muss vorab eine gründliche Abklärung mit klinischem Status und Labormedizin erfolgen. Aber dann wäre anstelle von Antidepressiva oder Benzodiazepinen eine Psychoedukation, gekoppelt mit einem Entspannungsverfahren indiziert. Selbstverständlich können Sie Ihre Patienten dazu einer Psychologin zuweisen, doch ich plädiere stark dafür, dass dies gleich beim Hausarzt oder der Hausärztin erfolgen soll. Der Weg, ein solches Verfahren aufzunehmen, ist beim eigenen Hausarzt viel direkter und vertieft die Arzt-Patient-­Beziehung ungemein. Und dann kommt dazu, dass ­solche Gruppensitzungen auch für den Hausarzt eine der besten Burnout-Prophylaxen darstellen, kann er doch dabei selbst herunterfahren, wenn er eine solche Entspannung in seiner Praxis anbietet.

Die Theorie

Psychoedukation, gekoppelt mit einem Entspannungsverfahren, ist ein bewährtes ärztliches Heilverfahren. War es früher Autogenes Training (AT) nach Schultz, dann Progressive Muskelrelaxation (PMR) nach Jakobson oder das heute weit verbreitete und gut belegte Aufmerksamkeitstraining (Mindfulness-Based Stress Reduction, MBSR) nach Jon Kabat-Zinn, so haben alle diese Techniken gemein, dass die Patientinnen und ­Patienten unter Anleitung eines Therapeuten oder einer Therapeutin lernen, sich zu entspannen, nach innen zu schauen, ihren Atem zu beobachten und versuchen ihren Kopf von ständigem Denken und Gedankenkreisen zu befreien und gar eine Art Trance erfahren. Alle diese Techniken werden kostengünstig in einer Gruppe erlernt und sollen zuhause regelmässig geübt werden. Die meisten Patienten erfahren dabei eine erfüllende Beruhigung, Entschleunigung, entwickeln ein besseres Körperverständnis und lernen, ihre funktionellen Störungen besser von aussen zu beobachten, ohne jedes Mal in Panikstimmung und eine schwierige Weiterabklärungs-Spirale zu geraten. Dies birgt auch für die Krankenkasse ein bedeutendes Sparpotenzial. Nicht jeder Patient profitiert gleich oder übt auch nach Abschluss der Therapie weiter. Doch sehr viele erkennen, dass es ihnen während der Gruppentherapie besser ging und nehmen nach einer gewissen Zeit die Entspannung wieder auf, oder besprechen mit der Hausärztin die Gründe, die zum Abbruch oder Weglassen der Entspannung geführt haben. Die Hausärztinnen und Hausärzte profitieren – wie oben bereits erwähnt – zweifach: Einerseits lernen sie in dieser Gruppentherapie ihre Patienten zusätzlich von einer anderen Seite kennen und erleben auch ihre Ressourcen im Sozialverhalten, die sie in der weiteren Behandlung und Unterstützung sehr gut ­einsetzen können. Andererseits unterbricht ein solcher Gruppenkurs den hausärztlichen Alltag und erlaubt, eine gute Stunde auch für sich zu schauen und mitzuentspannen.

Die Geschichte

Ich habe über Jahre Autogenes Training unterrichtet und dabei ein ganzes Tutorium entwickelt. Zu jeder Übung habe ich einen kleinen Input gemacht (Abb. 1): Die Schwereübung habe ich unserem Bewegungsapparat, unserer «Hardware» gewidmet. Bei der Wärmeübung ging es um Blut, die Durchströmung, den Flow in alle Körperwinkel, als Prävention von Durchblutungsstörungen, Blockierungen, Krämpfe im gesamten Körper. Bei der Atemübung kam die «Beseelung» hinzu, aber auch der erste und der letzte Atemzug. Bei der Herzübung sprach ich vom Rhythmus, der Harmonie im Körper, aber auch im sozialen Umfeld. Das Herz berührt uns zentral, wir spüren eine Verantwortlichkeit, und mit den Armen als «Verlängerung vom Herzen» regulieren wir das Geben und Nehmen. Bei der Bauchübung sprach ich über das eigentliche physikalische Zentrum unseres Körpers, und von der alten Erfahrung unseres Plexus solaris als Zentrum des vege­tativen Nervensystems, vom «Bauchgefühl» und der Intuition. Und erst zum Schluss folgt unser heutzutage stark strapaziertes oder überfordertes Nervenzentrum, unser Kopf, der ständigen Anforderungen, Signalen, Nachrichten, bildlichen, symbolischen und elektronischen Inputs ausgesetzt ist. Meine spontanen, oft auf die jeweiligen Patientensituationen gemünzten Ausführungen lösten kleine Diskussionen in der Gruppe aus und lassen sich ganz einfach zu psychoedukativen Aussagen mit wichtigen gesundheitsrelevanten Implikationen erweitern. Die Patienten schätzten diesen Raum zur Diskussion und äusserten in der ganz speziellen Gruppenintimität ihre Sorgen, Ängste und Fragen.

Die Übung

Ich kann es jedem Hausarzt/jeder Hausärztin nur empfehlen – schon zur eigenen Psychohygiene – solche Entspannungskurse anzubieten. Die Gestaltung der psychoedukativen Inputs obliegt ganz Ihren Präferenzen. Oder Sie lassen sie ganz weg. Stehen mehr Blutdruckprobleme oder Diabetescompliance im Vordergrund, können Sie auch diese in Ihrer Gruppe ansprechen. Sie sind völlig frei.
Wagen Sie es doch einmal, eine Gruppe von Patienten zusammenzunehmen, finden Sie einen passenden Abendtermin, zum Beispiel nach 17 Uhr. Haben Sie anfangs Mühe und trauen sich die Psychodynamik einer Gruppe nicht allein zu, fragen Sie einen Psychotherapeuten, ob er als Co-Therapeut die ersten Gruppen ­mitgestaltet, oder besprechen Sie Ihre ersten Gruppenerfahrungen mit einem erfahrenen Supervisor. Ich verspreche Ihnen, solche Gruppen sind kurzweilig, machen viel Spass und bringen allen etwas – Ihnen selbst, den Patienten und den Krankenkassen.
Wir danken François Thioly für die französische Übersetzung dieses Artikels.
Dr. med. Pierre Loeb
Facharzt für ­Allgemein­medizin FMH, spez. Psychosomatische Medizin SAPPM
Winkelriedplatz 4
CH-4053 Basel
loeb[at]hin.ch
1 JH Schultz. Autogenes Training Das Original-Übungsheft. Die Anleitung vom Begründer der Selbstentspannung. Trias ­Verlag, 26. Auflage, 2016.
2 F Petermann: Patientenschulung und Patientenberatung – Ein Lehrbuch, Hogrefe-Verlag,2. Vollst erw. und überarb. Auflage, 1997.
3 G Pitschel-Walz, J Bäuml, W Kissling: Psychoedukation Depression – Manual zur Leitung von Patienten- und Angehörigengruppen. Urban & Fischer Verlag, München/Jena, 2003.