Das mentale Wohlbefinden der ­nächsten Generation Hausärztinnen*
Wie kann es verbessert werden?

Das mentale Wohlbefinden der ­nächsten Generation Hausärztinnen*

Aktuelles
Ausgabe
2019/12
DOI:
https://doi.org/10.4414/phc-d.2019.10168
Prim Hosp Care Allg Inn Med. 2019;19(12):365-367

Affiliations
a Präsidentin Junge Hausärztinnen und Hausärzte Schweiz (JHaS); b Leiter Nachwuchsförderung Hausarztmedizin, Berner Institut für Hausarztmedizin (BIHAM), Universität Bern

Publiziert am 04.12.2019

Noch immer gibt es in der Schweiz einen Mangel an Hausärztinnen. Für eine erfolgreiche Nachwuchsförderung ist es umso wichtiger, dass junge und zukünftige Ärztinnen möglichst auf ihrem Weg in die Praxis bleiben und dass Hausärztinnen in ihrem Beruf bleiben.

Hintergrund

Noch immer gibt es in der Schweiz einen Mangel an Hausärztinnen. Für eine erfolgreiche Nachwuchsförderung ist es umso wichtiger, dass junge und zukünftige Ärztinnen möglichst auf ihrem Weg in die Praxis bleiben und dass Hausärztinnen in ihrem Beruf bleiben. Zahlen aus den USA und Grossbritannien sind Anlass zur Sorge: 54% bzw. 52% überlegen, den Beruf zu verlassen. Die mentale Gesundheit ist bei diesen Entwicklungen von zentraler Rolle und wird zunehmend wichtiger. Sie ist die Stütze für den hausärztlichen Nachwuchs, um den Beruf weiter zufrieden ausüben zu können und leistungsfähig zu bleiben. Auch geht es schliesslich um die Grundversorgung und Patientensicherheit. Für den Schweizer Nachwuchs in der Hausarztmedizin gab es bisher keine Evaluation der mentalen Gesundheit. In einer gemeinsamen Studie von JHaS und BIHAM wurden alle JHaS-Mitglieder (Studierende, Assistenzärztinnen und junge Hausärztinnen bis fünf Jahre nach Praxis­einstieg) befragt. In diesem Artikel werden die Resultate zusammengefasst, welche im Original im BJGP Open erschienen [1].

Mentale Gesundheit verstehen bei ­Mitgliedern der JHaS

Als Studienpopulation wurden die Mitglieder des Vereins Junge Hausärztinnen und Hausärzte Schweiz (JHaS) gewählt. Zum Studienzeitpunkt hatte JHaS über 1100 Mitglieder, die alle auf dem Weg in die Hausarztmedizin oder bereits seit weniger als fünf Jahren in der Hausarzt­medizin tätig waren.
Mittels eines Onlinefragebogens wurde die mentale Gesundheit durch den Warwick-Edinburgh Mental Wellbeing Scale (WEMWBS) erhoben. Der WEMWBS reicht von 14 bis 70 möglichen Punkten (höher = bessere mentale Gesundheit). Weiter interessierte uns das aktuelle Stresslevel, ob sie schon je einmal unter einem Burnout litten, wie oft ihnen Zeit für ihr Privatleben fehlt, wie oft sie über das Aufgeben ihres Berufes nachdenken, wie gross der Anteil der administrativen Arbeit ist und wie oft sie sich durch verschiedene Stressoren bei ihrer Arbeit belastet fühlten.
Unter der Annahme, dass die mentale Gesundheit von einigen der jungen und zukünftigen Hausärztinnen schlechter, als die der Bevölkerung sein könnte, wollten wir auch wissen, was sich ändern muss und welche Unterstützung sich die Befragten wünschten.

Hoher Rücklauf

Mit mehr als 500 Antworten erreichte die Umfrage ­einen sehr guten Rücklauf von fast 60%. Die Basischarakteristika sind in Abb. 1 (linke Spalten) zu sehen. Auffallend viele Frauen (75%) haben geantwortet, was durch die hohe Frauenquote bei JHaS selbst erklärt wird. Fast die Hälfte aller Antwortenden haben Kinder und arbeiten Teilzeit.

Mentale Gesundheit – nicht bei allen gleich

Durchschnittlich erreichten die Teilnehmerinnen einen WEMWBS von 52.4 Punkten (95% Vertrauensintervall = 51.7–53.0) in Abb. 1 (zweite Spalte von rechts). An dieser Stelle ein bisschen Kontext: Die Spanische Gesamtbevölkerung hat einen WEMWBS von ca. 60 [2], die Lehrer in Grossbritannien ca. 48 [3]. Bei den JHaS-Mitgliedern fiel aber auf, dass die mentale Gesundheit besonders in der Weiterbildung tiefer (ca. 51 Punkte) war und bei jungen Hausärztinnen signifikant höher (ca. 54 Punkte, P-Wert <0.001). Weiter viel auf, dass sich nur 47% voller Energie und nur 29% entspannt fühlten. Hausärztinnen fühlten sich signifikant besser als Assistenzärztinnen.
Fast die Hälfte der Teilnehmerinnen gab einen hohen oder sehr hohen Grad an Stress an (49%) und hatten zu wenig Zeit für ihr Privatleben (45%). Jede 6. Person (17%) berichtete, schon einmal ein Burnout gehabt zu haben und 8% denken im Moment (sehr) oft daran, den Beruf zu verlassen (Abb. 1, Mitte).
Die administrativen Tätigkeiten wurden von allen drei Gruppen am häufigsten als grösste Belastung ­genannt (65% bei Assistenzärztinnen und 52% bei Hausärzt­innen). Assistenzärztinnen nannten zudem lange ­Arbeitszeiten (65%), hohe Arbeitslast (58%, 44% bei Hausärztinnen, 50% bei Studierenden) und hohe ­Arbeitsanforderungen (54%, 46% bei Hausärztinnen, 43% bei Studierenden) als belastend.
Die mentale Gesundheit unterschied sich aber nicht nur in Bezug auf Aus- oder Weiterbildung, sondern auch nach Geschlecht (ca. 2 Punkte weniger bei Frauen P-Wert 0.022). Gleichzeitig berichteten die JHaS aber auch von besserer mentaler Gesundheit, wenn sie auch Kinder haben (2 Punkte mehr, P-Wert 0.008). Am einschneidendsten war aber, dass die mentale Gesundheit um fast 5 Punkte tiefer war (P-Wert <0.001) bei denjenigen, die angaben, zu wenig private Zeit zu haben, verglichen mit denjenigen, die genügend Zeit für sich haben.

Was können wir besser machen

Die Teilnehmerinnen gaben viele Vorschläge, was sich verbessern sollte, um die mentale Gesundheit zu schützen oder sogar zu stärken. Sie schlugen insbesondere vor: Verbesserung der Work-Life-Balance, Reduktion administrativer Tätigkeiten, familienfreundliche Arbeitsumgebung, Akzeptanz und Förderung von Teilzeitarbeit, bessere Kinderbetreuung, kürzere Arbeitsdauer und das Einhalten von Pausen.
Abbildung 1: In den beiden linken Spalten sieht man den Rücklauf sowie die hohe Frauenquote. In der Mitte zeigt sich das hohe Stresslevel und die fehlende Zeit für das Privatleben. In der zweiten Spalte von rechts wird die mentale Gesundheit nach dem WEMWBS übersichtlich dargestellt.

Diskussion

Die mentale Gesundheit der zukünftigen Generation Hausärztinnen ist nicht naturgegeben und sollte wie in dieser Umfrage laufend evaluiert werden als einer der wichtigen Treiber für Berufsausstieg oder Burnout. Damit die gewillten Ärztinnen auf ihrem Weg in die Praxis bzw. auf ihrem weiteren Weg in der Praxis nicht aus dem Beruf aussteigen, müssen weitere Anstrengungen unternommen werden, die Arbeitsbedingungen möglichst «gesundheitskompatibel» zu ­gestalten.
Die Prävalenz für ein mittelschweres oder schweres Burnout bei Hausärztinnen jeglicher Generationen betrug 2005 ca. 30% [4]. Es ist davon auszugehen, dass auch im (Haus)arztberuf wie in anderen Berufen die Burnout-Raten in den letzten Jahren gestiegen sind (so z.B. in den Erhebungen aus der Job-Stress-Index-Erhebung 2018 der Gesundheitsförderung Schweiz [5] ist die Prävalenz von emotionaler Erschöpfung generell in den letzten Jahren gestiegen). Trotz einer recht guten Rücklaufquote könnte es also auch sein, dass Personen mit schlechter mentaler Gesundheit erst gar nicht an der Studie mitmachen und somit die mentale Gesundheit sogar überschätzt würde. Dass Assistenzärztinnen über ein schlechteres mentales Wohlbefinden verfügen als Hausärztinnen deckt sich mit anderen Studien, welche die Weiterbildungsperiode als die stressreichste Zeit mit vielen Schwierigkeiten bezeichneten [6–8].

Zusammenfassung

– Die mentale Gesundheit der nächsten Generation Hausärztinnen variiert je nach Ausbildungslevel und auch nach Geschlecht/Elternsein.
– Besonders die Weiterbildungszeit scheint eine besondere Schwierigkeit zur Aufrechterhaltung der mentalen Gesundeit zu sein und dies hauptsächlich durch den Mangel an Zeit für sich selbst, zunehmende administrative Tätigkeiten, lange Arbeitszeiten und eine generelle hohe Arbeitslast.
– Die Befragten zeigen auch Lösungsmöglichkeiten auf: Administration an nicht-ärztliches Personal delegieren, Unterstützung durch effiziente Computersysteme, Akzeptanz und Förderung von Beruf und Familie, Teilzeitarbeit, Kinderbetreuungssysteme.
Für genauere Informationen zur Studie ­verweisen wir auf die Originalpublikation im BJGP Open [1]:

JHaS-Positionspapier Arbeitsbedingungen

In unserem Beruf als Ärztinnen, sei es in der Hausarztpraxis oder während der Weiterbildung, übernehmen und tragen wir viel Verantwortung: gegenüber unseren Patientinnen und dem Behandlungsteam, sowie als Koordinatoren im Gesundheitswesen und Förderer der Prävention gegenüber der Gesellschaft. Wir sind bei der Arbeit fähig, schnell zu reagieren, Entscheide zu fällen und zu tragen. Unsere Patientinnen erwarten von uns, mit hoher Fachkompetenz, Empathie und Respekt behandelt zu werden. Eine klare und verständliche Kommunikation ist dabei ein wesentlicher Teil unserer Arbeit.
Die Kombination von komplexen Arbeitsanforderungen, hoher Arbeitslast, langen und unregelmässigen Arbeitszeiten und einem leistungsorientierten Selbstbild führt zu einem hohen Risiko der Entwicklung eines Burnouts mit den entsprechenden psychischen und physischen Folgeerkrankungen.
Damit wir die Anforderungen in unserem Berufsalltag erfüllen können, müssen folgende Voraussetzungen gegeben sein (Abb. 2).
Abbildung 2: Anforderungen an den Berufsalltag der Hausärztinnen.
Sandra Hügli-Jost
Kommunikations­beauftragte
mfe Haus- und
Kinderärzte Schweiz
Geschäftsstelle
Effingerstrasse 2
CH-3011 Bern
Sandra.Huegli[at]hausaerzteschweiz.ch
1 Lindemann F, Rozsnyai Z, Zumbrunn B, Laukenmann, J, Kronenberg R, Streit S. Mental wellbeing of next generation general practitioners: a cross-sectional survey. BJGP open. 2019; doi: 10.3399/bjgpopen19X101671.
2 Castellví P, Forero CG, Codony M, et al. The Spanish version of the Warwick-Edinburgh mental well-being scale (WEMWBS) is valid for use in the general population. Qual Life Res. 2014;23(3):857–868. doi: 10.1007/s11136-013-0513-7.
3 Kidger J, Brockman R, Tilling K, et al. Teachers’ wellbeing and depressive symptoms, and associated risk factors: A large cross sectional study in English secondary schools. J Affect Disord. 2016;192:76–82. doi:10.1016/j.jad.2015.11.054.
4 Goehring S, Bouvier Gallacchi M, Künzi B, Bovier P. Psychosocial and professional characteristics of burnout in Swiss primary care practitioners: a cross-sectional survey. Swiss Med Wkly. 2005;135:101–8.
6 Ishak WW, Lederer S, Mandili C, et al. (2009) Burnout during residency training: a literature review. J Grad Med Educ 1(2):236–242, doi:10.4300/JGME-D-09-00054.1
7 Dyrbye LN, Varkey P, Boone SL, et al. (2013) Physician satisfaction and burnout at different career stages. Mayo Clin Proc 88(12):1358–1367, doi:10.1016/j.mayocp.2013.07.016.
8 Hayes B, Prihodova L, Walsh G, et al. (2019) Doctors don’t Do-little: a national cross-sectional study of workplace well-being of hospital doctors in Ireland. BMJ Open 9(3), doi:10.1136/bmjopen-2018-025433. e025433.

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