Departement für Psychosomatische Medizin, Klinik Barmelweid; Universitätsklinik für Neurologie, Inselspital Bern, und Universität Bern; Faculty of Health Sciences, North-West University, Potchefstroom Campus, South Africa
Burnout infolge von chronischem Stress am Arbeitsplatz ist gesellschaftlich ein zunehmend anerkanntes Phänomen, das auch in den klinischen Alltag der allgemeinmedizinischen Grundversorgung Eingang gefunden hat und von dem Ärztinnen und Ärzte unmittelbar selbst betroffen sind. Resilienz schützt vor Burnout und kann aktiv gefördert werden.
In der erwerbstätigen Bevölkerung Europas und den USA beträgt die Prävalenz für Burnout gemäss repräsentativer Untersuchungen etwa 25% [1–3]. Ärztinnen und Ärzte sind gar doppelt so häufig von Burnout betroffen wie nichtärztliche Erwerbstätige [4, 5]. Unter den einzelnen Fachrichtungen belegen die Grundversorgerinnen und Grundversorger in der Allgemeinen Inneren Medizin einen vorderen Rang [4]; diese Gruppe erfuhr in den USA [4] und in der Schweiz [6] in den letzten paar Jahren auch eine eindeutige Burnout-Zunahme.
Angesichts der umfangreichen Forschung zu den Ursachen für ein berufsbezogenes Burnout-Syndrom [7–9] erhalten Faktoren, die vor Burnout schützen und die Genesung nach einem Burnout unterstützen, vergleichsweise weniger Beachtung. Solche Schutzfaktoren («Stresspuffer») werden gemeinhin unter dem Begriff der Resilienz («Widerstandsfähigkeit») zusammengefasst. Die Förderung allgemeiner und für den Arztberuf spezifischer Resilienzfaktoren trägt dazu bei, dass Ärztinnen und Ärzte in ihrem anspruchsvollen Beruf nicht «ausbrennen», oder sie nach einem Burnout das «feu sacré» wiedererlangen, um ihren Beruf selbstfürsorglich, das heisst mit einem gesundheitsverträglichen Engagement, weiterhin ausüben können. Basiskenntnisse zu den gängigen Resilienzfaktoren im Berufsalltag lassen sich zudem für die Therapie von Patienten nutzen, die sich mit einem Burnout präsentieren.
Das Burnout-Syndrom
Fallvignette
Der 58-jährige Herr B. wurde von seinem Hausarzt wegen unklarem Erschöpfungszustand in die psychosomatische Sprechstunde zugewiesen. Mit Ausnahme einer neu aufgetretenen leichten arteriellen Hypertonie waren sämtliche somatischen Voruntersuchungen unauffällig. Herr B. hatte sich als Bücherexperte in den letzten 20 Jahren zum Abteilungsleiter hochgearbeitet und noch nie einen Tag am Arbeitsplatz gefehlt. Umso weniger Verständnis brachte er für seinen Sohn auf, der vor einem Jahr das Studium «hingeschmissen» habe und jetzt nur noch «jobbe». Vor zwei Jahren hatte Herr B. eine «sehr fordernde Chefin» erhalten. Wolle er keine Überstunden machen, müsse er «mit hohem Tempo» arbeiten. Eigentlich habe er schon seit drei bis fünf Jahren weniger Energie verspürt, nachdem zwei Personalabgänge aus Spargründen nicht ersetzt worden seien. Vor einem halben Jahr und kurz vor den Weihnachtsferien war sein Vater, zu dem er eine enge Beziehung hatte, sehr rasch an einem Lungenkrebs «weggestorben». In den Wochen danach sei es Herrn B. deutlich schlechter gegangen. Neben der Erschöpfung klagt er über Schweissausbrüche, Schwindel, Nackenverspannungen sowie Nervosität und Gereiztheit. Gegenüber der Sekretärin sei er zweimal «zu laut» geworden, was für ihn ungewohnt und peinlich gewesen sei. Er schlafe schlecht und komme dann ins Grübeln. Grübelgedanken sind: «Die Arbeit bleibt liegen»; «was bringe ich dem Geschäft überhaupt noch?»; «was ist, wenn ich die Stelle verliere?». Klinisch relevante Depressivität und Freudlosigkeit sowie Suizidgedanken werden von Herrn B. klar verneint. Ausser einer stützenden und verständnisvollen Ehefrau lagen keine stressprotektiven Resilienzfaktoren vor. Im vergangenen Jahr hatte Herr B. wegen seiner Erschöpfung keine Gartenarbeit mehr getätigt oder soziale Aktivitäten und Sport unternommen.
Gemäss den von der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde ausgearbeiteten Definitionskriterien [10] lag bei Herrn B. ein Burnout vor (Abb. 1). Im Bericht an den Hausarzt wurden folgende ICD-10 Diagnosen festgehalten:
1 Anpassungsstörung mit verschiedenen emotionalen Qualitäten (inkl. Angst, Besorgnis, Anspannung, Ärger, Trauer) F43.23
2 Burnout-Syndrom Z73.0
3 Probleme in Verbindung mit der Berufstätigkeit Z56 und familiären Umständen Z63
4 Essentielle Hypertonie I10
Abbildung 1: Burnout als Risikozustand für Folgekrankheiten mit Bezug zur Fallvignette.
Konzeptualisierung und Definition des Burnout-Syndroms
Nach der aktuellen Lehrmeinung wird Burnout (Z73.0) nicht als eigenständige Krankheit, sondern als ein durch Arbeitsstress bedingter Risikozustand für psychische und körperliche Folgekrankheiten definiert (Abb. 1). Zahlreiche Konstellationen, die Arbeitsstress und Burnout verursachen, wurden beschrieben, wobei den sieben in Tabelle 1 aufgeführten stresserzeugenden Arbeitsplatzfaktoren konsistent eine grosse Bedeutung zukommt. Entsprechende Screeningfragen können sowohl in der Patientenanamnese als auch zur Selbstexploration für den Arztberuf verwendet werden [11]. Ausserberufliche Belastungen wie familiäre Konflikte erhöhen den Gesamtstresslevel, indem sich bei gleicher Arbeitsbelastung vielfältige psychische, kognitive und funktionelle somatische Stresssymptome umso früher einstellen.
Tabelle 1: Stresserzeugende Faktoren am Arbeitsplatz mit Screeningfragen [11].
Zu hohe Anforderungen Arbeitsaufgabe, Übernahme von Verantwortung
Erfordert Ihre Arbeit hartes Arbeiten? Kommt es zu Überstunden? Sind Sie genügend ausgebildet?
Zu wenig Kontrolle Handlungsspielraum, Einsatz persönlicher Fähigkeiten
Können Sie bei der Arbeit mitbestimmen? Können Sie Ihre Fähigkeiten einsetzen?
Zu wenig Belohnung Bezahlung, Aufstiegsmöglichkeiten, Anerkennung, Arbeitsplatzsicherheit
Sind Ihre Aufstiegschancen gut? Wird Ihre Arbeit von Vorgesetzen anerkannt?
Zu wenig soziale Unterstützung Rückhalt durch Mitarbeitende, Führungsverhalten der Vorgesetzten
Fühlen Sie sich im Team gut aufgehoben? Erleben Sie den Vorgesetzen unterstützend?
Ungerechte Behandlung Fairness am Arbeitsplatz
Werden Sie ungerechtfertigt kritisiert? Erhalten Sie genügend Informationen?
Wertekonflikte Ethische Standards, Work-Life-Balance, Auftreten gegenüber Kunden/Patienten, Zusammenarbeit
Hat Ihr Arbeitgeber dieselben Werte wie Sie? Müssen Sie bei der Arbeit Dinge tun, die nicht mit ihren Wertvorstellungen übereinstimmen? Müssen Sie unsinnige Arbeiten ausführen?
Kommen Sie beim Arbeiten in Zeitdruck? Opfern Sie sich für Ihren Beruf zu sehr auf? Können Sie von der Arbeit abschalten? Müssen Sie alles genau machen?
Die in Klinik und Forschung am häufigsten verwendete Konzeptualisierung des Risiko-Zustands Burnout beruht auf der Symptomtrias 1) Emotionale Erschöpfung durch die Arbeit, 2) Zynismus bzw. Depersonalisation/Entfremdung von der Arbeit und 3) subjektiv empfundene Leistungsminderung bei der Arbeit [9], die mit dem Maslach Burnout Inventar (MBI) erhoben wird [12]. Tabelle 2 zeigt die 16 Items des MBI-General Survey (MBI-GS) in einer kürzlich publizierten Eigenübersetzung [11]. Das MBI-Human Services Survey (MBI-HSS) besteht aus 22 Items und verwendet Formulierungen für Menschen, die mit anderen Menschen arbeiten und durch emotionale Beziehungsarbeit ausbrennen können.
Psychische Folgekrankheiten von Burnout sind Anpassungsstörungen, Angststörungen (Panikzustände), Substanzmissbrauch und Depressionen. Burnout und Depression müssen klar voneinander abgegrenzt werden und sind nicht austauschbare Konstrukte [11, 13]. Die Kernsymptome einer Depression sind Niedergestimmtheit und Freudlosigkeit und waren beispielsweise bei Herrn B. nicht vorhanden. Allerdings steigt mit zunehmendem Burnout-Schweregrad die Wahrscheinlichkeit für eine Depression (50% bei schwerem Burnout, 20% bei mittelschwerem Burnout und 7% ohne Burnout) [1]. Mit Burnout assoziierte funktionelle Störungen (muskuloskelettale Schmerzen, Verdauungsprobleme, Tinnitus) und Schlafstörungen sind häufig, und nicht selten die Ursache für ein Aufsuchen der Hausärztin [14]. Als körperliche Folgekrankheiten von Burnout sind vor allem kardiometabolische Störungen einschliesslich Übergewicht, Diabetes, Hypertonie, Fettstoffwechselstörungen und koronare Herzkrankheit, aber auch eine erhöhte Mortalität zu nennen [15]. Diese Zusammenhänge werden teils über ein ungünstiges Gesundheitsverhalten, teils direkt über autonome, psychoneuroendokrinologische und immunologische Mechanismen vermittelt [11, 15].
Schliesslich können Erschöpfung und Leistungsminderung durch mit Müdigkeit einhergehende, von Burnout primär unabhängige Krankheiten verstärkt werden (z.B. Schlafapnoe-Syndrom, chronische Herzinsuffizienz, Multiple Sklerose, rheumatoide Arthritis, Krebs, beginnende Demenz, Psychose). Selbstverständlich müssen mit chronischer Müdigkeit/Fatigue assoziierte Krankheiten immer in die Differentialdiagnose eines Burnout-Syndroms einfliessen. Die Differentialdiagnose sollte stets verschiedene somatische, psychische und verhaltensbezogene Ursachen (z.B. Schlafmangel) berücksichtigen [16].
Schweregrad von Burnout messen
Zur Bestimmung der Burnout-Schwere mit dem MBI werden die Mittelwerte der Items (Tab. 2) für Erschöpfung mit dem Faktor 0,4, für Depersonalisation und Leistungsfähigkeit jeweils mit dem Faktor 0,3 multipliziert und aufaddiert. Summenwerte zwischen 1,50 und 3,49 verweisen auf ein mittelschweres, Werte zwischen 3,50 und 6,00 auf ein schweres Burnout [11]. Basierend auf diesen Kriterien kann mit einer online verfügbaren Webapplikation das Burnout-Risiko gratis und anonym eingeschätzt werden [17].
Ich fühle mich gefühlsmässig leer durch meine Arbeit.
Ich fühle mich am Ende eines Arbeitstages erledigt.
Ich fühle mich müde, wenn ich morgens aufstehe und wieder einen Arbeitstag vor mir habe.
Den ganzen Tag zu arbeiten ist für mich wirklich eine Belastung.
Ich fühle mich durch meine Arbeit ausgebrannt.
Depersonalisation
Ich habe weniger Interesse in meiner Arbeit seit ich an dieser Arbeitsstelle arbeite.
Meine Begeisterung für meine Arbeit hat abgenommen.
Ich möchte nur meine Arbeit tun und in Ruhe gelassen werden.
Ich bin zynischer darüber geworden, ob ich mit meiner Arbeit irgendeinen Beitrag leiste.
Ich bezweifle, dass meine Arbeit wichtig ist.
Reduzierte persönliche Leistungsfähigkeit
Ich kann die Probleme, die in meiner Arbeit entstehen, erfolgreich lösen.
Ich denke, dass ich einen wichtigen Beitrag für diese Arbeitsstelle leiste.
Ich leiste meiner Meinung nach gute Arbeit.
Ich bin guter Stimmung, wenn ich in meiner Arbeit etwas erreicht habe.
Ich habe in meiner derzeitigen Arbeit viele wertvolle Dinge erreicht.
Ich bin sicher, dass ich in meiner Arbeit die Dinge erfolgreich erledige.
Schweregrad je Item für emotionale Erschöpfung und Depersonalisation: 6 = täglich, 5 = ein paar Mal in der Woche, 4 = wöchentlich, 3 = ein paar Mal im Monat, 2 = monatlich, 1 = ein paar Mal im Jahr, 0 = niemals. Inverse Bewertung für persönliche Leistungsfähigkeit, von 6 = niemals bis 0 = täglich.
Für die rasche Selbsteinschätzung der Wahrscheinlichkeit als Ärztin oder Arzt selber ein klinisch relevantes Burnout zu haben, dienen folgende zwei Screeningfragen aus dem MBI-HSS [18]: «Ich fühle mich durch meine Arbeit ausgebrannt» und «Ich bin abgestumpfter gegenüber den Menschen geworden, seitdem ich in diesem Beruf arbeite.» Ist dies mindestens «wöchentlich» der Fall, so ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass relevante emotionale Erschöpfung und Entfremdung von der Arbeit (und den Patienten) vorliegen.
Warum Burnout im Arztberuf so häufig ist und stetig zunimmt
Die in Tabelle 1 aufgeführten Stressoren am Arbeitsplatz haben auch für den Arztberuf Gültigkeit, zeigen aber teilweise eine spezifische Qualität [19]. Gestiegen sind beispielsweise die Anforderungen und Erwartungen aufgrund eines «Machbarkeitswahns» durch Technisierung und Beschleunigung der Behandlungsprozesse. Nichtsdestotrotz benötigt Heilung Zeit und kann nicht eingefordert werden, in der «Sprechstunde» kann buchstäblich nicht schneller gesprochen werden. Ein Statusverlust mit weniger Anerkennung und geringerer (finanzieller) Belohnung hat stattgefunden, Ärztinnen und Ärzte sind in der öffentlichen Wahrnehmung von «Halbgöttern in Weiss» zu Kostenfaktoren und Kostentreibern mutiert. Gesundheit wird auf dem Gesundheitsmarkt als Ware angeboten, Ärztinnen und Ärzte fühlen sich genötigt, sich und ihr Produkt zu verkaufen, wodurch Wertekonflikte entstehen können.
Aus biographischer Sicht führt eine Verletzung in der Kindheit der psychischen Grundbedürfnisse, wie Bindung, Orientierung und Kontrolle, Selbstwerterhöhung, und Lustgewinn/Unlustvermeidung, zu ungünstigen Verhaltensmustern im Arztberuf mit erhöhter Stressvulnerabilität und Burnout-Risiko [20]. Ängstlich-unsichere, kontrollierende Eltern oder ein permanent gefährdetes kindliches Kontroll- und Sicherheitsbedürfnis, zum Beispiel durch unkalkulierbares Verhalten eines Elternteils, führt später zu überzogenem Kontrollverhalten, Perfektionismus und geringer Umstellungsfähigkeit. Diese «Kontroll-Schiene» wird zur Belastung bei unberechenbaren und Flexibilität fordernden Situationen, wie der Betreuung chronisch Kranker und im Notfall. Frühes Fehlen von Lob und Anerkennung, oder zu frühe Verantwortungsübernahme für andere (Parentifizierung), führt im Arztberuf zu Altruismus, Überaktivität und Selbstüberforderung auf der Suche nach Selbstwertbestätigung und Anerkennung. Das handlungsorientierte Muster dieser «Selbstwert-Schiene» lässt wenig Freiraum zum Reflektieren und Verarbeiten, bis die Arbeit dann «einfach zu viel» wird. Der Aufbau von Resilienz zur Stress- und Burnout-Prävention beginnt also bereits in der Kindheit durch Schaffung emotional stabiler Rahmenbedingungen mit einer hinreichenden Befriedigung der psychischen Grundbedürfnisse.
Resilienz
Konzeptualisierung und Definition von Resilienz
Resilire kann aus dem Lateinischen mit «Zurückspringen» übersetzt werden, was die Eigenschaft beschreibt, Widerwertigkeiten des Lebens unbeschadet an sich abprallen zu lassen und an diesen als Person auch noch zu wachsen. Obwohl primär als psychische Widerstandsfähigkeit verstanden, wird Resilienz auch mit günstigen körperlichen Voraussetzungen und Reaktionsweisen in Stresssituationen in Bezug gebracht [21]. Demnach kann Resilienz bezeichnet werden als das Vermögen, sich trotz widriger Lebensumstände (Stressoren) als Person erfolgreich adaptiv und proaktiv zu entwickeln und mit geringen psychologischen und physiologischen Kosten gestärkt aus diesen hervorzugehen [21, 22].
Resilienz verfolgt damit eine salutogene Perspektive, die darauf abzielt, Faktoren zu identifizieren, die Menschen gesund halten [23], im speziellen Fall vor Burnout schützen bzw. die Genesung von einem Burnout unterstützen. Resiliente Menschen sind eher in der Lage, persönliche Rückschläge zu verkraften und berufliche Krisen konstruktiv zu bewältigen. Resiliente in der Grundversorgung tätige Ärztinnen und Ärzte zeigen ein geringeres Burnout-Risiko als weniger resiliente Kolleginnen und Kollegen [24]. Resilienz wird sowohl als «angelegte» Persönlichkeitseigenschaft verstanden, als auch als veränderbares Attribut, das durch gezielte kognitive Massnahmen und Verhaltensänderungen, inklusive gesunder Lebensführung, verbessert werden kann [21].
Messung von Resilienz
Ein häufig verwendetes Instrument zur Messung von Resilienz als personale Ressource ist die Resilienzskala von Wagnild & Young [25], die als Kurzform in deutscher Übersetzung vorliegt [26]. Die 11 Items und das Frageformat sind in Tabelle 3 aufgeführt. Der Bezug zu erhöhter Stressvulnerabilität und Burnout-Risiko zeigt sich in Items, die nach der verfügbaren Energie, Fähigkeit zum Multitasking, Umgang mit Wertekonflikten, Selbstwert und Flexibilität fragen.
Tabelle 3: Kurzform der Resilienzskala nach Wagnild & Young [25, 26].
Wenn ich Pläne habe, verfolge ich sie auch.
Normalerweise schaffe ich alles irgendwie.
Es ist mir wichtig, an vielen Dingen interessiert zu sein.
Ich mag mich.
Ich kann mehrere Dinge gleichzeitig bewältigen.
Ich bin entschlossen.
Ich behalte an vielen Dingen Interesse.
Ich finde öfter etwas, worüber ich lachen kann.
Normalerweise kann ich eine Situation aus mehreren Perspektiven betrachten.
Ich kann mich auch überwinden, Dinge zu tun, die ich eigentlich nicht machen will.
In mir steckt genügend Energie, um alles zu machen, was ich machen muss.
Wie stark treffen die Aussagen im Allgemeinen auf Sie zu? «Ich stimme nicht zu» =1 bis «Ich stimme völlig zu» = 7
Mit erhöhter Resilienz einhergehende Faktoren
Tabelle 4 zeigt gut untersuchte stressprotektive Konstrukte, die mit erhöhter Resilienz assoziiert sind [23, 27–30]. Diese «Stresspuffer» erhöhen die Wahrscheinlichkeit, dass eine berufliche Belastung (Arbeitsstress) erfolgreich bewältigt wird, womit das Burnout-Risiko sinkt. Bei australischen Hausärztinnen und -ärzten waren zudem Temperament- und Charaktereigenschaften von erhöhter Selbstakzeptanz und Beharrlichkeit einerseits und niedriger Schadensvermeidung andererseits mit erhöhter Resilienz vergesellschaftet [31].
Tabelle 4: Mit Resilienz in Zusammenhang gebrachte Faktoren
Konstrukt
Beschreibung
Kohärenz und Sinnerleben (Sense of Coherence) [23]
Ein grundsätzliches Vertrauen, dass die Ereignisse im Leben vorhersehbar und erklärbar sind, Ressourcen verfügbar sind, um den Anforderungen des Lebens zu begegnen, und es sich lohnt, sich für diese zu engagieren.
Zähigkeit (Hardiness) [27]
Grundsätzlicher Glaube, dass das Leben kontrollierbar ist, Aktivitäten interessant und wichtig sind und stressreiche Ereignisse Herausforderungen sind, die Möglichkeit für Wachstum und Entwicklung bieten.
Dispositionaler Optimismus [28]
Die inhaltlich generalisierte und zeitlich stabile Tendenz, positive Ereignisse im Leben zu erwarten.
Soziale Unterstützung [29]
Positiv erlebte zwischenmenschliche Kontakte, vor allem in Form emotionaler Unterstützung (positive Gefühle, Nähe und Vertrauen).
Effektives Stressmanagement [30]
Flexibilität im Bewältigungshandeln durch ein breites Repertoire von verfügbaren kognitiven, emotionalen und verhaltensorientierten Copingstrategien (z.B. aktives Problemlösen, wo objektive Kontrollchancen bestehen, sonst eher kognitive Umbewertung und Beenden negativer Gefühle anwenden).
Wie Resilienz im Arztberuf gefördert werden kann
Tabelle 5 zeigt eine Zusammenfassung von resilienzfördernden Massnahmen, die ärztliche Grundversorgerinnen und Grundversorger anwenden, und ihren Kolleginnen und Kollegen teilweise auch empfehlen, um sich vor Burnout zu schützen [16, 20, 32–35]. Die erfolgreiche Umsetzung dieser Strategien kann teilweise nicht ohne Änderung von Einstellungen und Verhalten und damit der «kleinen kognitiven Verhaltenstherapie» als Ärztin und Arzt mit sich selbst gelingen. Interventionsstudien an der Mayo Clinic zeigen, dass strukturierte Weiterbildungsprogramme für resilienzfördende Massnahmen im Berufsalltag, wie Achtsamkeitsübungen, Selbstreflexion und Sinngebung, bei allgemeininternistischen Grundversorgerinnen und Grundversorgern Burnout-Symptome, Empathie, Stimmung und Arbeitseinstellung signifikant verbessern können [36, 37].
Tabelle 5: Empfehlungen zur Förderung der Resilienz und Burnout-Prophylaxe bei Grundversorgerinnen und Grundversorgern in Allgemeiner Innerer Medizin.
Ärztliche Identität: Bewusste Auseinandersetzung mit beruflichen Wertvorstellungen, um unreflektierter Selbstüberforderung und überzogener Verausgabung vorzubeugen.
Förderliche Haltungen: Eigene Grenzen akzeptieren; notwendige Veränderungen erkennen; aktive und realistische Auseinandersetzung mit den schwierigen Seiten des Arztberufs; positive Bewertung der Arzt-Patienten-Beziehung und ärztlichen Tätigkeit.
Professionalität: Austausch mit Kollegen (Intervision), Verbesserung der kommunikativen Fähigkeiten (z.B. Betreuung chronisch Kranker) und kontinuierliche Weiterbildung.
Gute Klinik- bzw. Praxisorganisation: «Vernünftig lange» Arbeitszeiten, Zeiten für Notfälle freihalten, Aufnahmestopp, gutes Personal rekrutieren und gute Personalführung.
Work-Life-Balance: Gezielte Planung eines privaten Gegengewichts zur beruflichen Beanspruchung (befriedigendes Privatleben, Sport, Kultur, karitatives Engagement).
Bewusstes Zeitmanagement: Zeit für sich selbst (Hobbys, Selbstreflexion), die Familie und für weitere soziale Kontakte. Termine gegebenenfalls in die eigene Agenda eintragen!
Wenn es trotz allem zum Burnout kommt
Tabelle 6 zeigt die Massnahmen, die unternommen werden können, wenn sich trotz präventiver Bemühungen und resilienzfördernder Massnahmen ein Burnout-Syndrom einstellt, und dass ausgebrannte Ärztinnen und Ärzte erwägen sollten, selber professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen [38, 39]. Grundversorger scheinen unter anderem aufgrund von hoher Arbeitsbelastung durch den Verkehr mit Krankenversicherern, Veränderungen im Gesundheitswesen, Unsicherheiten mit der medizinischen Behandlung und der Schwierigkeit, Beruf und Privatleben unter einen Hut zu bringen, mehr von Burnout betroffen zu sein als andere medizinische Fachrichtungen [5]. Bisher nehmen die Tarifdiskussionen auf dieses erhöhte «Berufsrisiko» keinen Bezug, obwohl zum Beispiel ein in England im 2004 eingeführtes verbessertes Abgeltungssystem für Grundversorger-Leistungen, im Sinne eines Resilienzfaktors, die Arbeitszufriedenheit erhöhen und die Wochenarbeitszeit reduzieren konnte [40].
Tabelle 6: Massnahmen bei Burnout im Arztberuf.
Sich das Ausgebrannt-Sein eingestehen und allenfalls professionelle Hilfe holen.
Coaching bis Psychotherapie; im engeren Sinne: Stressmanagement, angepasste körperliche Aktivität.
Schonungslose Analyse von verantwortlichen Stressoren, biografischen Zusammenhängen, «brandgefährlichen» Lebensmotiven (z.B. «Ein guter Arzt ist immer für die Patienten da») und Persönlichkeitseigenschaften (Überleistertum, Perfektionismus, Narzissmus).
Notwendige Veränderungen identifizieren und konsequent und nachhaltig umsetzen.
Behandlung von psychischen und körperlichen Komorbiditäten, Schlafproblemen und Substanzmissbrauch (insbesondere übermässiger Alkoholkonsum, Stimulanzien, Schlaftabletten).
Rückfallprophylaxe: Warnzeichen der individuellen Stressreaktion rechtzeitig erkennen und reagieren.
Die Burnout-Therapie kann, je nach Schweregrad der Symptomatik und Komorbiditäten, ambulant oder stationär im multimodalen Setting erfolgen [41]. Kernelemente der Burnout-Therapie sind die Psychotherapie, angemessene sportliche Aktivität, Entspannungsverfahren und Körpertherapien, Kreativtherapien, Behandlung psychischer und somatischer Begleitkrankheiten, Pharmakotherapie, schlafhygienische Massnahmen und die Sozialarbeit mit vorbereitenden Massnahmen zur Reintegration in den Berufsalltag [16, 41]. Kognitiv-verhaltenstherapeutische Interventionen vermochten die emotionale Erschöpfung in den meisten randomisiert-kontrollierten Studien zu verbessern [42]. Wir konnten kürzlich zeigen, dass 15 Monate nach einer sechswöchigen stationären Burnout-Therapie die Burnout-Symptomatik gegenüber dem Eintritt signifikant abgenommen hatte und die berufliche Reintergration in drei Viertel der Fälle erfolgt war [43].
Fazit für die Praxis
– Wollen Ärztinnen und Ärzte ihre Resilienz verbessern und damit das Burnout-Risiko senken, so müssen sie zuerst den Zeitpunkt erkennen, wann sie unter Stress geraten und welches ihre adaptiven und maladaptiven Stressantworten sind [22].
– Durch Selbstbeobachtung und ungezwungene Übungen im Praxisalltag können die individuellen somatischen, emotionalen, kognitiven und verhaltensbezogenen Stressantworten identifiziert werden.
– Frühwarnzeichnen von Stress sollen nicht ignoriert werden. Eine fatalistische Einstellung, «dass es dann schon wieder besser geht», verhindert den Zuwachs an Fähigkeiten und Fertigkeiten, wie Stress bewältigt werden kann, bevor es «aus dem Ruder» läuft.
Korrespondenz
Prof. Dr. med. Roland von Känel Klinik Barmelweid CH-5017 Barmelweid roland.vonkaenel[at] barmelweid.ch
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